Full text: Für Seminarvorbereitungsanstalten und Fortbildungsschulen (Bd. 1 = Vorstufe, [Schülerband])

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260. Die sanften Tage. (1805, am 7. Oktober.) 
Bon i. HJjlcmb. 
Gedichte und Dramen. Stuttgart 1883. Bd. I, S. 22. 
1. Ich bin so hold den sanften Tagen, 
a Wann in der ersten Frühlingszeit 
Der Himmel, bläulich aufgeschlagen, 
Zur Erde Glanz und Wärme streut, 
Die Täler nock von Eise grauen, 
Der Hügel schon sich sonnig hebt, 
to Die Mädchen sich ins Freie trauen, 
Der Kinder Spiel sich neu belebt. 
2. Dann steh' ich auf dem Berge droben 
Und seh' es alles, still erfreut, 
Die Brust von leisem Drang gehoben, 
ib Der noch zum Wunsche nicht gedeiht. 
Ich bin ein Kind und mit dem Spiele 
Der heitere« Natur vergnügt; 
In ihre ruhigen Gefühle 
Ist ganz die Seele eingewiegt. 
3. Ich bin so hold den sanften Tagen, 
Wann ihrer mild besonnten Flur 
Gerührte Greise Abschied sagen, 
Dann ist die Feier der Natur. 
Sie prangt nicht mehr mit Blüt' und Fülle, 
All' ihre regen Kräfte ruhn, 
Sie sammelt sich in süße Stille, 
In ihre Tiefen schaut sie nun. 
4. Die Seele, jüngst so hoch getragen, 
Sie senket ihren stolzen Flug, 
Sie lernt ein friedliches Entsagen, 
Erinnerung ist ihr genug. 
Da ist mir wohl im sanften Schweigen, 
Das die Natur der Seele gab; 
Es ist mir so, als dürft' ich steigen 
Hinunter in mein stilles Grab. 
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261. Einnahme und Zerstörung Trojas. 
Von G. Lchwab. 
Die schönsten Sagen deS klassischen Altertums. Gütersloh 1873. Tl. II, S. 305. 
Die Trojaner überließen sich die halbe Nacht hindurch der Freude bei Schmaus 
und Gelag; Syringen und Flöten ertönten, Tanz und Gesang lärmten ringsum^ 
und dazwischen die bunt durcheinanderschallenden Stimmen der Schmausenden. 
Becher wurden ein Mal über das andere bis zum Rande mit Wein gefüllt, mit beiden 
Händen erfaßt und leer getrunken, bis die Trinkenden zu stammeln anfingen, und ihr 
Geist in dumpfe Betäubung versank. Endlich lagen sie alle in tiefem Schlafe begraben, 
und die Mitternacht war herangekommen. Jetzt erhob sich Sinon, der griechisch 
Späher, der mit anderen Trojanern im Freien geschmaust und sich zuletzt schlafend 
gestellt hatte, von seinem Polster, schlich hinaus zu den Toren, zündete eine 
an und ließ, dem Strande und der Insel Tenedos zugekehrt, den Schiffen der Grieche" 
zum verabredeten Zeichen ihren lodernden Brand in die Lüfte wehen. Dann löscht 
er sie wieder, schlich sich zu dem hölzernen Pferde hin und pochte leise an den hohle" 
Bauch, wie ihm Odysseus geheißen hatte. Die Helden vernahmen den Laut; aw 
aber kehrten ihre Häupter lauschend dem Odysseus zu. Dieser ermahnte sie, leise und 
mit aller möglichen Vorsicht auszusteigen; er hielt die Ungeduldigen zurück, öffnete 
ganz leise den Riegel der Tür, steckte den Kopf ein wenig hinaus und sandte 
spähenden Blicke allenthalben umher, ob nicht einer der Trojaner erwacht sei. Dann, 
wie ein heißhungriger Wolf mit aller Vorsicht zwischen Hirten und Hrmden hindurch 
in den Pferch schleicht, stieg er die Sprossen der Leiter hinab, die Epeus zugleich r"l 
dem Pferde verfertigt und jetzt heruntergelassen hatte, und ein Held nach dem ander" 
folgte ihm mit klopfendem Herzen. Als die Höhlung des Rosses sich ganz entleer 
hatte, schüttelten sie ihre Lanzen, zogen ihre Schwerter und verbreiteten sich durch ^ 
Straßen und in die Häuser der Stadt. Ein gräßliches Gemetzel entstand unter den 
schlaftrunkenen und berauschten Trojanern; Feuerbrände wurden in ihre Wohnungen 
geschleudert, und bald loderten die Dächer über ihren Häuptern. Zu gleicher Ze" 
trieb ein günstiger Fahrwind die Flotte der Griechen, die auf Sinons Fackelzeichel 
von Tenedos ausgebrochen war, in den Hafen des Hellespontes, und bald stürzte stcp 
das ganze Heer der Danaer durch die breite Mauerlücke, durch welche am Tage zuvo 
das Roß hereingezogen worden war, in die Stadt, von Kampfbegierde schnauben - 
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