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Jetzt blieben die Leute stehen und sahen den stattlichen Herrn an und horchten
auf die wundervollen Töne; jedermann sah's, der Herr geigte für den Armen, aber
niemand kannte ihn. Immer größer wurde der Kreis der Zuhörer. Selbst die
Kutschen der Vornehmen hielten an. Und was die Hauptsache war, jedermann sah
ein, was der kunstreiche Fremde beabsichtigte, und gab reichlich. Da fiel Gold und s
Silber in den Hut und auch Kupfer, je nachdem's die Leute..hatten, und je nachdem
das Herz war. Der Pudel knurrte. War'S Pläsir, oder Ärger? Er konnte den
Hut nicht mehr halten, so schwer war er geworden. „Macht ihn leer, Alter!"
riefen die Leute dem Invaliden zu, „er wird noch einmal voll!" Der Alte tat's,
und richtig, er mußte ihn noch einmal leeren in seinen Sack, in den er die Violine w
zu stecken pflegte. Der Fremde stand da mit leuchtenden Augen und spielte, daß ein
Bravo über das andere erschallte. Alle Welt war entzückt. Endlich ging der Geiger
in die prächtige Melodie des Liedes „Gott erhalte Franz, den Kaiser!" über. Alle
Hüte und Mützen flogen von den Köpfen; denn die Österreicher liebten ihren edlen
Kaiser Franz von ganzem Herzen, und er verdiente es auch; allgemach wurde der rs
Volksjubel so groß, daß plötzlich alle Leute das Lied sangen. Der Geiger spielte in
der größten Begeisterung, bis das Lied zu Ende war; dann legte er rasch die Geige
in des glücklichen Invaliden Schoß, und ehe der alte Mann ein Wort des Dankes
sagen konnte, war er fort.
„Wer war das?" rief das Volk. — Da trat ein Herr vor und sagte: „Ich«-
kenne ihn sehr wohl, es war der ausgezeichnete Geiger Alexander Boucher, welcher
hier seine große Kunst im Dienste der Barmherzigkeit übte. Laßt uns aber auch
sein edles Beispiel nicht vergessen!"
Der Herr hielt seinen Hut hin, und aufs neue flogen die Sechsbätzner in den
Hut des Herrn, der diesmal für den Invaliden aufhob. Alles gab, und als dann-n
der Herr das Geld abermals in des Invaliden Sack geschüttet, rief er: „Voucher
lebe hoch!" — „Hoch! hoch! hoch!" rief das Volk. Und der Invalide faltete seine
Hände und betete: „Herr, belohne du's ihm reichlich!"
Und ich glaube, eS gab an diesem Abend zwei Glückliche mehr in Wien. Der
eine war der Invalide, der nun weithin seiner Not enthoben war, und der andere »s
war Boucher, dem sein Herz ein Zeugnis gab, um das man ihn beneiden möchte.
Wir aber sagen: Hut ab vor dem Boucher, und wenn er auch tausendmal ein
Franzose war!
13. Der Mai ist gekommen. (Bonn 1835, vollendet Lübeck 1841.)
Bon E. v. Geibrl.
Gesammelte Wecke. Stuttgart 1883. Bd. I (Zugendgedichtc und Zeitstimmen), S. 49. (Gekürzt.) *5
1. Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus,
Da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus';
Wie die Wolken wandern am himmlischen Zelt,
So steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt.
2. Herr Vater, Frau Mutter, daß Gott euch behüt'! **>
Wer weiß, wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht!
Es gibt so manche Straße, da nimmer ich marschiert.
Es gibt so manchen Wein, den ich nimmer noch probiert.
3. Frisch auf drum, frisch auf im hellen Sonnenstrahl
Wohl über die Berge, wohl durch das tiefe Tal! 45
Die Quellen erklingen, die Bäume rauschen all',
Mein Herz ist wie 'ne Lerche und stimmet ein mit Schall ....
6. O Wandern, o Wandern, du freie Burschenlust!
Da wehet Gottes Odem so frisch in die Brust;
Da singet und jauchzet das Herz zum Himmelszelt: 60
Wie bist du doch so schön, o du weite, weite Welt!
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