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hinaus, so erfreuen einen die Bettler, die jetzt nicht frieren, und. die Postreiter, die
mit vieler Lust die ganze Nacht zu Pferde sitzen können, und die Schäfer schlafen
im Freien. Man braucht kein dumpfes Haus; jede Staude macht man zur Stube
und hat dabei gar meine guten, emsigen Bienen vor sich und die prächtigsten Zwei¬
falter. In Gärten auf Bergen sitzen Gymnasiasten und ziehen im Freien Vokabeln *
aus Lexicis. Wegen des Jagdverbotes wird nichts geschossen, und alles Leben in Büschen
und Furchen und auf Asten kann sich so recht sicher ergötzen. Überall kommen Rei¬
fende auf allen Wegen daher, haben die Wagen meist zurückgeschlagen; beit Pferden
stecken Zweige im Sattel und den Fuhrleuten Rosen im Munde. Die Schatten der
Wolken laufen, die Vögel fliegen dazwischen auf und ab, Handwerksburschen wandern t«
leicht mit ihren Bündeln und brauchen keine Arbeit. Sogar im Regenwetter steht
man gern draußen und riecht die Erquickung, und es schadet dem Viehhirten weiter
nichts die Nässe. Und ist's Nacht, so sitzt man nur in einem kühleren Schatten, von
wo aus man den Tag deutlich sieht am nördlichen Horizonte und an den süßen,
warmen Himmelssternen. Wohin ich nur blicke, so find' ich mein liebes Blau; am
Flachs in der Blüte, an den Kornblumen und am göttlichen, unendlichen Himmel,
in den ich gleich hineinspringen möchte wie in eine Flut. Kommt man nun wieder
nach Hause, so findet sich in der Tat frische Wonne. Die Gasse ist eine wahre
Kinderstube; sogar abends nach dem Essen werden die Kleinen, ob sie gleich sehr
wenig anhaben, wieder ins Freie gelassen und nicht, wie im Winter, unter die Bett-20
decke gejagt. Man ißt am Tage und weiß kaum, wo der Leuchter steht. Im Schlaf¬
zimmer sind die Fenster Tag und Nacht offen, auch die meisten Türen, ohne
Schaden. Die ältesten Weiber stehen ohne Frost am offenen Fenster und nähen.
Überall liegen Blumen, neben dem Tintenfaß, auf den Akten, auf den Sessions- und
Ladentischen. Die Kinder lärmen sehr, und man hört das Rollen der Kegelbahnen. **
Die halbe Nacht geht man in den Gassen auf und ab und spricht laut und sieht die
Sterne am hohen Himmel schießen. Selber die Fürstin geht noch abends vor dem
Essen im Park spazieren. Die fremden Virtuosen, die gegen Mitternacht nach Hause
gehen, geigen noch auf der Gasse fort bis ins Quartier, und' die Nachbarschaft fährt
an die Fenster. Die Extraposten kommen später, und die Pferde wiehern. Man ™
liegt im Lärm am Fenster und schläft ein; man erwacht von Posthörnern, und der
ganze gestirnte Himmel hat sich aufgetan. O Gott. welches Freudenlebcn aus dieser
kleinen Erde!
46. Sommergesang. (1656.)
Von P. Gerhardt. st
P. Gerhardt« seist«che Lieder. Histor.. krit. Ausgabe von 3. K. B a ch m a « n. Berlin 18««. 6. aas. (Gekürzt.)
1 GEH aus, mein Herz, und suche Freud'
In dieser lieben Sommerzeit
An deines Gottes Gaben:
Schau an der schönen Gärten Zier,
Und siehe, wie sie mir und dir
Sich ausgeschmücket haben.
8. Die Bäume stehen voller Laub,
DaS Erdreich decket seinen Staub
Mit einem grünen Kleide;
Narciffus und die Tulipan,
Die ziehen sich viel schöner an
Als Salomonis Seide.
3. Die Lerche schwingt sich in die Luft,
DaS Täublein fleucht aus seiner Kluft
Und macht sich in die Wälder;
Die hochbegabte Nachtigall
Ergötzt und füllt mit ihrem Schall
Berg, Hügel, Tal und Felder.
4. Die Glucke führt ihr Völklein auö, «
Der Storch baut und bewohnt sein HauS,
Das Schwälblein speist die Jungen;
Der schnelle Hirsch, das leichte Reh
Äst froh und kommt ans seiner Höh'
Ins tiefe Gras gesprungen. "
5. Die Bächlein rauschen in dem Sand
Und malen sich und ihren Rand
Mit schattenreichen Myrten;
Die Wiesen liegen hart dabei
Und klingen ganz von Lustgeschrei
Der Schaf' und ihrer Hirten.
so