Full text: [Band 2, [Schülerband]] (Band 2, [Schülerband])

Altdeutsche Heldensage. 
ruft Gernot, „und wären unser tausend eines Geschlechtes!“ Wir 
sterben rnit Hagen, 6a wir dooh sterben müssen,“ ruft auch Giselher, 
„von der Treue lassen wir nicht bis in den Tod.“ 
Nach diesem letzten vergeblichen Versuche, des Mörders mächtig 
zu werden und ihre Rache schnell an ihm zu kühlen, steigt die Wut 
der unglücklichen Kriemhild zu entsetzlicher Höhe auf: sie läßt Feuer 
an den Saal legen, und bald fluten die roten Flammenwogen des Hauses 
hoch hinaus in den dunklen Nachthimmel, durch eine Windsbraut zu 
sausendem Feuersturme angefacht. Rauch und Hitze und die bald 
vom Dache in den Saal herabstürzenden Brände quälen die eingeschlos¬ 
senen Helden bis auf den Tod; grimmiger Durst mehrt die unsägliche 
Pein, und in der wilden Verzweiflung, als Hagen die überall laut wer¬ 
dende Klage über den unerträglichen Durst vernehmen muß, rät er den 
Durst im Blute zu löschen- Und der grauenhafte Rat wird befolgt: 
die Toten müssen mit ihrem Blute die Lebenden erquicken zum letzten 
Kampfe. Dichter und dichter fallen die rauchenden Trümmer auf 
die Helden herab: sie stellen sich an die Steinwände des Saales und 
decken sich (wie vorher gegen die feindlichen Menschen) jetzt gegen 
die feindlichen Elemente mit ihren guten Schilden. Endlich ist die 
kurze Sommernacht — sie hat länger gewährt als die längste Winter¬ 
nacht — vorüber, ein kühler Morgenwind geht der aufgehenden Sonne 
voran, das Holz des Saales ist ausgebrannt, und in den rauchenden 
Trümmern stehen im falben Frühschein die grimmigen Kämpfer, zum 
Todeskampfe des neuen, des letzten Tages bereit. 
Bild von Schnorr: „Der Kampf an der Stiege in Etzels Palast.“ 
94. Wie Rüdiger erschlagen wird. 
Von neuem stürmen die Hennen gegen den Saal, von neuem mit gleichem 
Erfolge; der Saal ist nicht einzunehmen; die Leichname erschlagener Hennen 
decken abermals zu Hunderten die Stiege. 
Da endlich wendet sich der König der Heunen an seine letzte Hilfe, an 
seinen letzten Trost: an den edlen Rüdiger von Bechlarn. Und jetzt entgalt der 
treue Markgraf seiner Eide, die er einst vor dreizehn Jahren zu Worms arglos 
geschworen, jetzt entgalt er seiner Dienste gegen seinen König, dem er in treuer 
Mannenpflicht die unheilbringende Gattin geworben — jetzt entgalt er des Ge¬ 
leites, welches er in der unbefangenen Gutwilligkeit eines rechten Helden und 
Dienstmannen den Gästen seines Königs geleistet hatte. Versagt er der Königin 
den Dienst, sie zu rächen, die Burgunden anzugreifen, so ist er treulos, und sein 
Leben, das nur dem treuen Dienste geweihet war, ewiger Schande preis¬ 
gegeben; leistet er den Anforderungen des Königs, der ihn bei seiner Mannen- 
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