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der Kunstübung, in dem sie sich zunächst betätigt, ist das der Sprache;
dem Geiste liegt sein geistiges Werkzeug, das Wort, näher als die äußere
Welt. So nimmt die Beherrschung der Sprache in den Bildnngsidealen
verschiedener Zeiten eine so hohe Stelle ein; wenn dies Element in gekünstelte
5 Wortmacherei ausartete, so darf dies seine ursprüngliche Berechtigung nicht
verkennen lassen . . . Der Stoff dessen, was der Gebildete auszusprechen,
darzustellen weiß, ist in dem einen Betracht er selbst, in dem andern die
Schönheit der Dinge; er spricht sich aus, stellt sich dar, aber ist dabei
erfüllt von einem Inhalte, gebunden an eine Form, die sich nach der Idee
10 der Schönheit bestimmen. Die Beziehung auf das Schöne und die Unter¬
ordnung unter dessen Gesetze hebt die Selbstdarstellung über das bloß Sub¬
jektive und über das Spielende, dem sie sonst verfiele, hinaus.
Wie das Wissen des echt Gebildeten die Mitte trifft zwischen unsteter
Polymathie (Vielwisserei) und eingeschränkter Gelehrsamkeit, so steht auch
15 seine Kunstübung gleich weit ab von flatterhaftem Dilettantismus und tech¬
nischer Berufsarbeit. Die Wege der letzteren verfolgt er, soweit dabei die
Grundlagen der technischen Schulung zu erwerben sind, und soweit das
eigene Ausüben die Werke der Meister verstehn und genießen lehrt; aber
die Freiheit eines Liebhabers der Künste wahrt er sich insofern, als er in
20 mehrere derselben Einblicke sucht, um die verschiedenen Sprachen, in denen
sie von dem Schönen reden, vergleichen zu können.
Die Selbstdarstellung ist aber nicht auf die Künste beschränkt. Der
geistige Inhalt, den der Gebildete besitzt, sucht mannigfaltigen Ausdruck und
durchleuchtet die verschiedensten Stoffe. In die ganze Breite des Lebens
25 hinein wirkt die Bildung, sie bestimmt den Verkehr, die geselligen Formen,
die Lebensweise von der Körperpflege und Tracht an bis zur Einrichtung
der Wohnräume. Wenn die Sitte die rohe Natürlichkeit überwindet, so
ergänzt und deutet die Bildung die Sitte; ihre Früchte auf diesem Gebiete
sind die verfeinerten Formen, veredelte Lebensart, der Takt, der Geschmack.
30 So erscheint die Bildung als formgebendes Prinzip, dessen gestaltender
Einwirkung keine Region des Wissens, des Könnens, ja des Lebens entrückt
ist; die Universalität muß als ein Merkmal der Bildung gelten imd diese
kann in dem Betracht zutreffend als „gleichschwebende Vielseitigkeit"
charakterisiert werden. Mit anderm Bilde bezeichnet dieselbe Sache die
35 Forderung des Harmonischen, des Einklangs der verschiedenen Interessen,
Betätigungen, Lebensäußerungen untereinander, die Aufhebung des schein¬
baren Stimmengewirrs in einem Akkord.
Allein von eingreifenderer Bedeutung als die Harmonie in diesem Sinne
ist die Herstellung des Einklangs der Bildung mit der individuellen Anlage
40 und mit der Lebensstellung . . . Fehlt die Übereinstimmung der Bildung
mit der Anlage, so bekommt jene etwas Aufgezwungenes und Schablonen¬
haftes; hergestellt aber wird die Übereinstimmung durch eine der Anlage