Full text: Für Seminarvorbereitungsanstalten und Fortbildungsschulen (Bd. 1 = Vorstufe, [Schülerband])

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Vögel, der arme Specht. Vier Brüder sind es, die alle das gleiche Handwerk treiben. 
Der größte heißt von seinem schwarzen Rocke der Schwarzspecht. Er hat ein feuer— 
rothes Käppchen auf dem Kopfe. Schön grün und roth ist der zweite, er heißt nach 
seinem Kleide der Grünspecht, und die beiden anderen sind schwarz und weiß, als 
sei ihr Kleid aus Flicken und Flecken zusammengesetzt, wie es bei armen Leuten 
wohl der Fall ist; äiner derselben ist groͤßer, der andere kleiner. Kümmerlich ist die 
Vahrung dieser Vögel. Nichts Gebrakenes und nichts Gesottenes kömmt auf ihren 
Tisch, Würmer und Maden sind ihre Kost einen Tag wie den anderen. Doch ist 
der Vogel dabei lustig und guter Dinge. Kaum graut der Tag, so eilt er an die 
Arbeil. Er fliegt in den dichten, finstern Wald, dorthin, wo die ültesten und stärksten 
Bäume sind, und sieht mit klugen Augen sie alle nach der Reihe an. Jetzt bemerkt 
er einen, der ihm täuglich scheint, und eilt auf ihn zu. Mitten am Stamme 
llammert er sich an der rauhen Rinde fest. Zwei von seinen Zehen hält er nach 
born und zwei nach hinten. Die Nägel an denselben sind ihm dabei von großem 
Vortheil. Sein Schwanz ist ziemlich kurz, und die Federn, die denselben bilden, 
sind steif und hart. Er ist sein Stühlchen, auf dem er fest an des Baumes Borke 
ruht. Die Axrt des sonderbaren Vogels ist sein fester Schnabel. Dieser ist ganz 
ähnlich einem Keil, wie ihn der Holzhauer in den Baumstamm schlägt, den er zer— 
spalten will, nur ist er vorn mehr zugespitzt. Er sitzt an harten, starken Knochen 
des Kopfes, und mit ihm ist der Vogel nun im Stande, tief in die Rinde und das 
Holz des Baumes einzuhauen. Oft pickt er nur durch die Borke und zieht die 
Qäfermaden hervor, die in ihr wohnen. Diese leben manchmal zu Hunderten in 
einem Stamim und fressen das Mark des Baumes, der sich gegen diese heimlichen 
Feinde nicht wehren kann. Wenn der Vermehrung dieser Wuͤrmer nicht Einhalt 
sethan wird, zernagen sie den Stamm so, daß bald die Aeste absterben, die Knospen 
berwelken, der Baum weder Blatt noch Blüten treibt, und dann als todter Stumpf 
traurig dasteht. Der Obstgärtner und der Forstmann sehen diese verborgenen Feinde 
nicht eher, bis sie am Absterben des Baumes ihre Gegenwart erkennen, wenn es zu 
spät ist Da kömmt ihnen der Specht zu Hilfe. Sein Auge erkennt gar leicht die 
schädlichen Gesellen, sein kräftiger Schnabel spaltet das mürbe Holz, fingerlange 
Splitter fliegen umher, und die Baumvberderber erhalten ihre wohlverdiente Strafe. 
Plötzlich hält der fleißige Arbeiter mit seinem Hämmern inne und läuft behende auf 
die aͤndere Seite des Stammes; hier sieht er aufmerksam sich jedes Ritzchen an. 
Warum thut er dies wohl? Will er etwa sehen, ob er mit seinem Loch bald fertig 
ist, ob es bald durch den Baum hindurchgeht? Nein, die Würmer, die noch bis 
dahin seinem Schnabel entgangen waren, flohen, von ihrem eifrigen Verfolger 
erschreckt, nach der entgegengesetzten Seite des Baumes und wähnen sich hier sicher 
doch er eilt auch dorthin, und sie werden hier seine Beute. 
Alle Theile des Spechtes sind auf seine Lebensart berechnet. Seine Zunge 
ist lang und dünn, und er vermag sie sehr weit aus dem Schnabel vorzustecken. Sie 
ist nicht wie andere Zungen fleischig und weich, sondern hart und spitz, so scharf wie 
eine Nadel. Dazu ist sie wie ein Pfeil mit vielen feinen Widerhaken versehen. Mit 
dNeser sonderbaren Waffe sticht er blitzschnell in die kleinen Wurmlöcher spießt die 
ferlarben an zieht sie heraus und verzehrt sie mit großem Wohlbehagen. Im 
Winter fehlt ihm freilich diese Fleischnahrung, und er muß sich nach aänderer Kost 
umsehen. Dann sucht er Nüsse von Buchen und Haselsträuchern oder faßt mit den 
Füßen die Tannenzapfen und pickt die Samenkörnchen heraus. 
Vlele von den Lochern, welche der Specht bei seinem Würmersuchen in die 
Bäume einhaut, kommen anderen kleineren Vögeln sehr erwünscht, welche sie als 
Wohnung benutzen. Meisen, Staare und Kleiber bauen in denselben ihre Nester, 
und der lehtgenannte Vogel klebt mit Lehm die große Deffnung so weit zu, daß er 
nur eben nveh Plaß genug übrig behält, um selbst durchzukommen. So ist der 
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