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Zweite Abteilung. Epische Poesie.
2. „O König Karl, mein Bruder
hehr,
O daß ich floh von dir!
Um Liebe ließ ich Pracht und Ehr';
Nun zürnst du schrecklich mir.
3. „O Milon, mein Gemahl so süß,
Die Flut verschlang mir dich.
Die ich um Liebe alles ließ,
Nun läßt die Liebe mich.
12. Der König denkt: „Was muß
ich sehn?
Das ist ein sondrer Brauch.“
Doch weil er's ruhig läßt geschehn,
So lassen's die andern auch
13. Es stund nur an eine kleine
Weil',
Klein Roland kehrt in den Saal;
Er tritt zum König hin mit Eil'
Und faßt seinen Goldpokal.
4. „Klein Roland, du mein teures
Kind,
Nun Ehr' und Liebe mir,
Klein Roland, komm herein geschwind!
Mein Trost kommt all von dir.
5. „Klein Roland, geh' zur Stadt
hinab,
Zu bitten um Speis' und Trank!
Und wer dir giebt eine kleine Gab',
Dem wünsche Gottes Dank!“
14. „Heida, halt an, du kecker
Wicht!“
Der König ruft es laut;
Klein Roland läßt den Becher nicht,
Zum König auf er schaut.
15. Der König erst gar finster sah,
Doch lachen mußt' er bald:
„Du trittst in die goldne Halle da
Wie in den grünen Wald;
16. „Du nimmst die Schüssel von
ebnigs Tisch
Wie man Apfel bricht vom Baum;
Du holst wie aus dem Bronnen frisch
Meines roten Weines Schaum.“
17. „Die Bäurin schöpft aus dem
Bronnen frisch,
Die bricht die Apfel vom Baum;
Meiner Mutter ziemet Wildbret und
Fisch,
Ihr roten Weines Schaum.“
18. „Ist deine Mutter so edle
Dam',
Wie du berühmst, mein Kind,
So hat sie wohl ein Schloß lustsam
Und stattlich Hofgesind'.
6. Der König Karl zur Tafel saß
Im goldnen Rittersaal;
Die Diener liefen ohn' Unterlaß
Mit Schüssel und Pokal.
7. Von Flöten, Saitenspiel, Gesang
Ward jedes Herz erfreut;
Doch reichte nicht der helle Klang
Zu Berthas Einsamkeit.
8. Und draußen in des Hofes Kreis
Da saßen der Bettler viel;
Die labten sich an Trank und Speis'
Mehr, als am Saitenspiel.
9. Der König schaut in ihr Ge—
dräng
Wohl durch die offne Thür,
Da drückt sich durch die dichte Meng'
Ein feiner Knab herfür.
*
19. „Sag' an, wer ist denn ihr
Truchseß?
Sag' an, wer ist ihr Schenk?“
„Meine rechte Hand ist ihr Truchseß,
Meine linke, die ist ihr Schenk.“
10. Des Knaben Kleid ist wunder—
bar,
Vierfarb zusammengestückt;
Doch weilt er nicht bei der Bettler—
schar,
Herauf zum Saal er blickt.
20. „Sag' an, wer sind die Wächter
treu?“
„Meine Augen blau allstund.“
„Sag' an, wer ist ihr Sänger frei?“
„Der ist mein roter Mund.“
21. „Die Dam' hat wackre Diener,
traun;
Doch liebt sie sondre Livrei,
11. Herein zum Saal klein Roland
rrift
Als wär's sein eigen Haus;
Er hebt eine Schüssel von Tisches Mitl
Und trägt sie stumm hinaus.