I. Deutsche Geschichte
bis zur Gründung des nationalen Staats 919.
1. Die germanische Vorzeit.
Die älteste Kultur.
§ 1. Das indogermanische Urvolk, dessen einstiges Dasein die Jndogerma-
Wissenschaft der Sprachvergleichung erschlossen hat, und dessen Ee Kultur.
Sitze vielleicht in dem Steppengebiet an der mittleren Wolga zu
suchen sind, war ein vorzugsweise viehzüchtendes Volk. Es be¬
saß Herden von Rindern, Schafen und Ziegen, verwandte bereits
den Hund zur Bewachung seines Viehs und kannte auch das Pferd,
ohne es indessen zum Reiten zu verwenden. Es trieb noch keinen
nennenswerten Ackerbau. Sein Gewerbe stand auf der Stufe des
Hausfleißes, da von den Familiengliedern selbst die Wohnung
gebaut, die Wollkleidung gefertigt, Gefäße aus Thon gebrannt,
Handwerkszeug und Waffen aus Holz, Stein und Knochen, teil¬
weise auch aus Kupfer hergestellt wurden; dieses Metall bezog man
wohl von den benachbarten Finnen. Der Handel war ein Tausch¬
handel, wobei Vieh die Stelle des Geldes vertrat, und beschränkte
sich auf solche Gegenstände, die man nicht selbst erzeugen konnte.
Das Volk gliederte sich nach Familien und Geschlechtern, die mit GeWechter-
ihren Herden und Wagen nomadisierend umherzogen, neue Weide- ftaot'
Plätze suchend, wenn die bisherigen ausgenutzt waren. Bei wachsender
Bevölkerungszahl entstanden infolge räumlicher Trennung Stammes¬
und Dialektsunterschiede, die sich zu nationalen Verschiedenheiten
ausbildeten.
Zuerst, so scheint es, schied sich das Urvolk in zwei Teile.
Nach Osten zogen die Arier, wohnten längere Zeit im östlichen Wcmde-
Jran und trennten sich dann in die Inder, welche in das Indus- mn0Ctt'
gebiet einbrachen, und die Iranier. Andere Stämme der Jndo-^^^.^.
germanen scheinen sich nach Westen und Südwesten ausgebreitet zu
haben; hier trafen sie auf fruchtbareren Boden, und es entwickelten
sich die Anfänge eines geregelten Ackerbaus. Von dort wanderten, lang-
Neubauer. Lehrbuch der Geschuhte. IV. Teil. 1