Heinrich Heine.
109
11. Und der König ergriff mit frevler Hand
Einen heiligen Becher, gefüllt bis zum Rand.
12. Und er leert ihn hastig bis auf den Grund
Und rufet laut mit schäumendem Mund:
13. „Jehvvah! dir kund' ich auf ewig Hohn, —
Ich bin der König von Babylon!"
14. Doch kaum das grause Wort verklang,
Dem König ward's heimlich im Busen bang.
15. Das gellende Lachen verstummte zumal;
Es wurde leichenstill im Saal.
16. Und sieh! und sieh! an weißer Wand,
Ta kam's hervor nne Menschenhand
17. Und schrieb und schrieb an weißer Wand
Buchstaben von Feuer und schrieb und schwand.
18. Der König stieren Blicks da saß
Mit schlotternden Knieen und totenblaß.
19. Die Knechteschar saß kalt durchgraut
Und saß gar still, gab keinen Laut.
20. Die Magier kanien, doch keiner verstand
Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.
21. Belsazar ward aber in selbiger Nacht
Von seinen Knechten umgebracht.
An meine Mutter M. Heine, geöorne von Feldern.
1.
1. Ich bin's gewohnt, den Kopf recht hoch zu tragen,
Mein Sinn ist auch recht starr und zähe;
Wenn selbst der König mir ins Antlitz sähe,
Ich würde nicht die Augen niederschlagen.
2. Doch, liebe Mutter, offen will ich's sagen:
Wie mächtig auch mein stolzer Mut sich blähe,
In deiner selig süßen, trauten Nähe
Ergreift mich oft ein demutvolles Zagen.
3. Ist es betn Geist, der heimlich mich bezwinget,
Dein hoher Geist, der alles kühn durchdringet
Und blitzend sich zum Himmelslichte schwinget?
4. Quält mich Erinnerung, daß ich verübet
So manche That, die dir das Herz betrübet,
Das schöne Herz, das mich so sehr geliebet?