Eine Christnacht.
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verwehten Schnee fast ganz wie von einer Schleierdecke eingehüllt. Das
Christkind erschrak, denn es wußte, daß der Knabe in dieser kalten Nacht
erfroren wäre, wenn es nicht des Weges vorbeigefahren wäre und die
kleinen Spuren gesehen hätte. Es hob das schlafende Bübchen liebreich
auf, hüllte es in seinen weißen, warmen Pelz und trug es auf seinen
goldenen Schlitten, der dicht daneben stand. Die Äasen waren schon
ungeduldig, scharrten ein wenig und bissen in den zuckerigen Schnee hinein.
Dann ging ein goldenes Tönen von den vielen Glöckchen durch den Wald.
Das Christkind fuhr nun weiter durch den einsamen Wald, das
Bübchen warm an seinem guten Äerzen gebettet, und kam endlich an
ein einsames, schlafendes Dorf. Alle Lichter in den Däusern waren
schon gelöscht und die Dächer tief in Schnee versunken. Nur im
letzten Ääuschen war noch ein Licht zu sehen. Da hielt das Christkind
an und schaute durch das gefrorene Fenster in die Stube hinein. Da
saß eine arme Frau am Tische, hielt den Kops auf die gerungenen
Äände gebeugt uud schluchzte. Ihr einziges, liebes Bübchen war plötz¬
lich verschwunden, und niemand hatte es gesehen. Ein fremder Mann
war durch das Dorf gefahren und hatte zum Knaben gesprochen:
„Willst du nicht aufsteigen und etwas mit mir fahren?" Da war das
Bübchen aufgestiegen und eine Weile mitgefahren bis in den großen
Wald hinein. Da hatte es aber Angst bekommen und war wieder
abgestiegen vom Schlitten. Und auf dem Äeimwege hatte es sich im
Walde verlausen.
Und die Mutter und alle Leute im Dorfe hatten das Kind mit
Fackeln und Laternen stundenlang gesucht und nicht gefunden. Ganz
nahe waren sie ihm gewesen und hatten es doch nicht können finden. Nun
war die Mutter todtraurig und todmüde heimgekehrt und hatte sich ihrem
Kummer überlassen. „Wo ist mein armes, liebes Kind geblieben? Muß
es jetzt allein und verlassen im großen Walde zugrunde gehen, während
ich hier in Qual und Sehnsucht mich verzehre?" Und weinte und
wehklagte, daß es dem horchenden Christkind bis tief in sein gutes Äerz
hinein brannte.
Da trat das Christkind rasch in den dunkeln Flur des Äauses und
lehnte das schlafende Kind, das von der Wärme rosige Bäckchen be¬
kommen hatte, an die Stubentür. Dann ging es zum draußen wartenden
Schlitten und holte einen schönen, schönen Lichterbaum und viele, viele
schöne Sachen und stellte alles schön geputzt in den dunkeln Flur neben
das schlafende Kind hin; dann entfernte es sich ganz leise. Draußen
aber blieb es an derselben Stelle stehen, wo es vorhin gelauscht hatte,
und klopfte mit seinem zarten Fingerlein an die gefrorene Scheibe.