Full text: Lesebuch für hannoversche Volksschulen

252 
mit Butter oder Leinöl, sein Morgen-, Mittag- und Abendbrot. 
Gar oft zahlt man sie den Kindern wie Leckerbissen zu, und sich 
darin satt offen zu können, ist mancher Familie eine wahre Er¬ 
quickung. — Ohne Getreidezufuhr aus Böhmen und den anstoßen¬ 
den Provinzen würde der arme Erzgebirger oft hungern müssen, 
obschon er mit unglaublicher Anstrengung der Erde abzuzwingen 
sucht, was sie ihm versagt. Halbe Stunden weit trägt er in Kör¬ 
ben guten Boden und Dünger auf nackte Felsen. Bergabhange 
bestellt er, die der Bewohner der Ebene kaum erklettern kann. Gras 
mäht er auf Höhen, wo ein Fehltritt ihn verunglücken ließe. Heu 
holt er mitten im Sommer auf Schlitten, wo er mit Wagen nicht 
fortkommen kann. 
2. Der Erzgebirger ist treuherzig im Umgänge, zufrieden und 
sehr arbeitsam. Mühsamer wird nirgend der Landbau betrieben, 
und frühzeitiger wohl nirgend die Jugend zur Arbeit angehalten, 
als im Erzgebirge. Mit dem sechsten Jahre schon hilft das Kind 
verdienen, in der Klöppelstube, wie am Spinnrocken und bei der 
Hütten arbeit. 
Eigen ist ferner dem Erzgebirger, gleich dem Tiroler, das ge- 
werbfleißige Wandern in ferne Gegenden und die doch ewig leben¬ 
dige Sehnsucht nach den Bergen und Thälern der Heimat. Den 
Strichvögeln gleich ziehen aus manchen Gegenden im Frühjahre 
Hunderte mit Bändern, Spitzen, Blechwaren u. s. w. in alle Län¬ 
der deutscher Zunge, von der Schweiz bis Rußland, ja oft nur mit 
Axt und Kelle, um anderwärts zu zimmern oder zu mauern. Zum 
Winter aber kehrt fast alles heim, um, umnebelt von Hütten- und 
Hochöfendampf, nicht selten in verschneiter, ärmlicher Wohnung den 
sauer errungenen Verdienst mit Weib und Kind zu verzehren. Kna¬ 
ben von zwölf bis dreizehn Jahren fahren entweder allein, oder als 
Gehülfen ihrer Väter mit Karren voll kleiner Handelsartikel in alle 
Welt, und manche Familie hat auf diese Art wohl ein halbes 
Dutzend Söhne in der Fremde, während die Töchter daheim klöp¬ 
peln, spinnen u. s. w. 
3. Dichte Nebel, welche höchstens in der Mittagsstunde wei¬ 
chen, kündigen dem Erzgebirger den Winter an, der ihm gewöhnlich 
in der fürchterlichsten Gestalt erscheint. Wochenlang schneit es oft 
in einem fort, ja wohl in einer Nacht so, daß man sich in Dör- 
fern aus den Häusern schaufeln, bisweilen sogar aus dem Dache 
steigen muß, um einen Gang zur Hausthür oder Gucklöcher für die 
Fenster der Unterstuben zu schaffen. Ein drei bis sieben Ellen hoher 
Schnee ist in strengen Wintern nicht selten; Stürme, die nirgend 
fürchterlicher heulen, bilden oft zwanzig bis dreißig Ellen hohe 
Windwehen, über welche der Erzgebirger, gleich dem Lappländer, 
mit angeschnallten Fußbrettern oder Schneeschuhen leicht hinweg- 
gleitct. ' Um Unglück ;u verhüten, werden zwar Signalstangen ge- 
)e§t, auch bei starkem Schneewetter dem Wanderer, besonders abends, 
durch Glockengeläute oder durch Trompetentöne Zeichen gegeben, in 
welcher Richtung er zu waten habe; doch vergeht selten ein Winter,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.