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102. Die beiden Bögel.
1. Ein Käfig vor dem Fenster hing,
Darin ein Vöglein saß;
Gar traurig war das arme Ding —
Fehlt ihm denn wohl etwas?
2. Ein andres Vöglein flog daher,
Hing an das Gitter sich.
„Ei, was betrübt dich denn so sehr,
Und warum grämst du dich?
3. Du wirst so sorgsam hier gehegt,
Hast eine Wohnung schön,
Wirst reich gefüttert und gepflegt:
Ich kann dich nicht verstehn!"
4. Das Vöglein in dem Käfig sprach:
„O könnt' ich ziehn mit dir!
Wohl hab' ich alles, — aber ach,
Die Freiheit fehlet mir!" Karl Ensiin.
103. Der Knabe und der Stieglitz.
Ein bunter Stieglitz ward gefangen
Und einem Knaben auf Verlangen
Zu seinem Eigentum geschenkt,
Der, ganz entzückt, auf nichts mehr denkt,
Als seines Vogels recht zu pflegen.
Er sucht daher ihm allerwegen
Sein liebstes Futter, füllt sein Glas
Des Tages oft mit frischem Naß,
Vergoldet ihm sein kleines Haus
Und bringt ihm manchen Distelschmaus.
Der Stieglitz aber findet doch
Zuletzt ein unbemerktes Loch,
Aus welchem er zuletzt entkam
Und fröhlich seinen Abschied nahm.
Der Knabe rief ihm freundlich zu:
„Wohin, du armer Vogel, du?