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waren die von Frankreich froh, denn sie hatten einen Mann,
der sich rühmte, die Stärke zweier Männer zu besitzen. Der trat
10 gleich hervor und begehrte mit einem Feinde sich zu messen.
2. Allein der Herzog von Burgund konnte unter all seinen
Rittern keinen finden, der dem Gegner gewachsen wäre, außer
seinem Gastfreund, dem deutschen Herrn, der auch mit in den
Krieg gezogen war. Den bat der Herzog gar sehr, sich des
15 Kampfes anzunehmen und den Sieg für Burgund zu gewinnen.
Der Deutsche aber sprach: „Es steht mir nicht wohl an, den
Zweikampf zu bestehen, da so viele tapfre Ritter aus Burgund
zugegen sind; die würden's dem Fremden übel deuten." Darauf
erwiderte der Herzog: „Sei deshalb ohne Sorge, mein Lieber!
20 Wohl zähle ich der tapfern Ritter viele, aber keinen, der dich
überträfe. Daher bitte ich dich nochmals, den Streit zu wagen."
Da konnte der Deutsche nicht länger widerstehen und sagte dem
Herzog zu.
3. Nun ließ er sich in den Ring führen, wo er kämpfen
25 sollte, setzte sich auf einen Stuhl und wartete also seines Wider¬
sachers. Da aber dieser auf sich warten ließ, schlief der Deutsche
ein und begann im Schlafe zu schnarchen. Jetzt erschien sein
Gegner; als er aber sah, wie sein Widerpart auf einem Stuhle
saß und so fest schlief, erschrak er und sprach: „Fürchtet er mich
30 so wenig, daß er so ruhig schläft, so wag ich's nicht, mit ihm
zu kämpfen," und niemand konnte ihn in den Ring bringen.
Also gewann der Deutsche für Burgund den Sieg im Schlaf.
Nach §. Herzog.
100. Die beiden Brüder.
1. Im Lande Italien lebten einmal zwei Zwillingsbrüder namens
Alfred und Richard. Sie liebten sieb innig und waren einander
zum Verwechseln ähnlich. Ihre eigene Mutter konnte sie anfangs
nicht unterscheiden, bis Richard einen bösen Fall tat. Davon
5 behielt er eine tiefe Narbe auf der Stirn, und wenn die Mutter den
Kindern die Locken zurückstrich, konnte sie Richard an der Narbe
erkennen.
2. Als beide zu Jünglingen herangewachsen waren, empfand
Richard eine große Sehnsucht, auf Reisen zu gehen und fremde