Full text: Deutsches Lesebuch für Vor- und Unterklassen höherer Lehranstalten (Teil 2, [Schülerband])

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bist du her?“ — „Aus einem Dorfe in inrnommern S 
„Hast du noch Eltern?“ — „Noch eine Mutter.“ — „Wovon 
ernährt sie sich?“ — „Vom Spinnen.“ — „Wie viel verdient 
sie täglich damit?“ — „Alle Tage ihre sechs Dreier.“ — „Davon 
kann sie sich wohl nicht viel zu uie thun?“ — ‚Hm! in Pommern 
ist wohlfeil leben.“ — „Hast du ihr denn noch nichts geschickt?“ 
„O ja, ich habe ihr schon einigemäl ein paar Thaler geschickt.“ 
— „Daran hast du brav gethan,“ fuhr der König sn „du 
bist ein guter Junge. Mit mir hast du auch so viel Mühe; 
aber gedulde dich, ich werde dir was sammeln.“ 
Als nach einigen Tagen die Wache wieder an den Pommer 
kam, ließ ihn der König vor sich treten und sagte: „Geh da 
nach dem Fenster, da liegt etwas, das habe ich für dich ge— 
sammelt.“ Es lagen aber im Fenster mehrere Goldstücke, und 
der Bediente war verlegen, wie viel er nehmen sollte. Er 
nahm daher nur w öffnete die Hand, zeigte sie dem 
Könige und h „Soll ich so viel haben?“ — ‚Nein“ ant— 
wortete der König, „du sollst sie alle haben, und deiner Mutter 
habe ich auch was geschickt!“ Der Bediente erfuhr bald darauf, 
daß der König seiner Mutter zeitlebens jährlich hundert Thaler 
ausgesetzt habe, weil sie einen so guten Sohn habe. 
Nach „Charakterzüge aus dem Leben Friedrichs U.“ Berlin 1788. 
226. Der Rabe. 
Seht doch den Raben dort an, wie er so abgemessenen 
Schrittes in seinem pechschwarzen Kleide hinter dem Pfluge 
einherschreitet. Er setzt seine stämmigen Beine weit von einander 
und tritt schwer auf. Seine Schultern sind breit, und sein 
dicker Schnabel mit den scharfen Kanten und der gebogenen 
Spitze scheint sun darauf eingerichtet zu sein, um eine tüchtige 
Portion verschlingen zu können. — Gewiß suht er sich etwas: 
denn aus Kurzweil macht er den beschwerlichen Weg in den 
Furchen nicht so oft hin und her. Sieh nur! er gar zu 
aufmerksam und dreht seinen Kopf bald rechts, bald links, und 
guckt dann wieder so bedachtsam in die Furche. — Aha, da 
haben wir es! Ein Mäuschen hat er erwischt! Dummes 
Tierchen, daß du gerade jetzt aus deiner Wohnung schlüpfen 
mußtest! Wie es winselt! Aber darum bekümmert sich der 
Rabe nicht. Er läßt es sich herrlich schmecken, und schon ist 
er damit fertig. Ein paar Engerlinge nimmt er auch noch zu 
sich, und — schon wieder ein —— Das rbe ich einen 
Appetit! Wenn das den Tag so fortgeht, so kann er etwas 
zusammenbringen. — Dort siht ein anderer auf einem Pfahle 
aͤm Wege und verdaut wahrscheinlich seine genossene Mahlzeit.
	        
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