1908 —
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10.
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Gieb acht, da schießt er wieder! Und auch nicht abgeblitzt!
Ich seh ein zweites Löchlein, das bei dem ersten sitz
Ein drittes jetzt, ein viertes! Der Hänsel blickt so frech:
Mit neun Kugeln schießt er den schonsten Neuner ins Blech.
Die Menge jauchzt, die Räte flüstern unter sich:
„Hans Winkelsee, wir wissen ein schönes Glück für dich;
Uns fehlt ein Schützenhauptmann, willst du der sein, so sag's!
Du solltest dich nicht weigern, es gereut dich eines Tags!“
„Stadtschützenhauptmann begehr ich nicht zu sein:
Ich geh durch die Wälder mit meiner Büchs allein;
Auf den Dächern klirren die Wimpel mir zu sehr.
Ade, hier war der Hänsel, her kommt der Hänsel nicht mehr!“
117. Der kranke Löwe und der Fuchs.
Nach Asop.
Der Löwe war alt und schwach geworden und vermochte nicht mehr
sich durch die Jagd genügenden Unterhalt zu verschaffen. Wollte er nicht
Hunger leiden, so mußte er eine List zu Hilfe nehmen. Er streckte sich also
in seiner Höhle aus, neigte das Haupt und nahm eine stumme Leidens⸗
miene an, als wäre er todkrank. Die vorübergehenden Tiere traten näher
herzu, als sie sonst pflegten, ihren kranken König zu sehen; wenn sie aber
ganz dicht heran gekommen waren, sprang dieser plötzlich auf, zerriß und
verschlang sie.
Dieses Spiel trieb der Löwe eine geraume Zeit und befand sich dabei
ganz wohl. Da begab sich's, daß auch der Fuchs des Weges kam. Wohl
hörte er den Löwen ächzen und sah, wie schlaff er den Kopf hängen ließ
und die Glieder streckte; doch ließ er sich nicht täuschen. Die List mit
scharfem Blick durchschauend, blieb er in angemessener Entfernung vor der
Höhle stehen. „Wie geht's euch kranker König?“ fragte er, indem er im
Ton der Stimme pflichtschuldige Teilnahme erheuchelte. „Schlecht,“ ant⸗
wortete der Löwe. „Aber warum kommst du nicht herein zu mir?“ —
„Das wag ich nicht,“ versetzte der Fuchs. „Denn wohl sehe ich viele Fuß—
spuren von solchen, die hineingegangen sind, aber keine einzige von solchen,
die wieder herausgekommen wären“