Full text: [Teil 3 = 6. u. 7. Schulj] (Teil 3 = 6. u. 7. Schulj)

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3. Es muß sein, daß es Minuten gibt, wo einer dem andern 
ins tiefste Herz hineinschaut. Und ich sag': ,Da haben wir einen Ge¬ 
danken gehabt, aber ich trinke jetzt nichtß und mir wird plötzlich angst 
und bange. Mir ist, als wäre ich mitten im Walde von Räubern an¬ 
gefallen, und doch red' ich vom Wetter und von allerlei. 
Der Buchhalter macht das Buch zu, dreht den Schlüssel am Kasten 
ab, zieht einen andern Rock an, greift nach seinem Hut und steckt 
meinen Schuldschein in die Tasche. 
Ich bekomme eine Höllenangst vor dem Buchhalter, und plötz¬ 
lich reiß' ich mich los und fasse die Tür und renne und stolpere, daß 
ich fast zu Boden falle, zum Hause hinaus. Aber ich wende mich um, 
und jetzt renne ich dem Buchhalter gerade auf die Brust. Ich wende 
mich wieder ab und springe die Treppe hinauf, und ,1187 Gulden 
30 Kreuzer bin ich schuldig! schrei ich der Witwe zu, die oben an der 
Treppe steht. 
Ich habe der Witwe bei Heller und Pfennig meine Schuld be¬ 
zahlt. Das tröstet mich jetzt, und das nehme ich mit ins Grab." 
Berthold Auerbach. (Aus dem Gedenkbuch des Pfarrers vom Berge.) 
97. Das Antlitz der Tat. 
1. Auf der einsamen Schäre stand der Leuchtturm, und der Sturm 
trieb die Wellen hoch an ihm hinauf. Brodelnd hoben sich die schwarzen 
Wassermossen und schlugen mit ihren Kämmen grimmig gegen das 
schlanke Bauwerk, daß es schauerte und sich bog. Von Zeit zu Zeit sprühte 
eine Handvoll Gischt bis gegen die Fenster der Laterne. 
Drinnen stand Bill, der eine der beiden Wächter, und hatte eben 
zuvr Beginn der Nacht das Feuer angezündet. Der Scheinwerfer war 
gerichtet, das Uhrwerk in Gang gesetzt. Er warf einen gleichmütigen 
Blick nach Osten, wo hinter dem weiten Wellengewimmel das Festland 
lag, und einen zweiten, prüfenden auf die Wetterwolken, die von Westen 
her immer schwerer und dunkler heranzogen. Dann stieg er in die Wacht- 
stube hinab, die dicht unter dem Feuerraum liegt. Außer der Leiter 
zur Laterne enthielt das öde, kleine Gemach einen Tisch und einen Stuhl; 
als zweite Sitzgelegenheit konnte etwa die Treppe zu der eisernen Tür 
dienen, die nach außen auf die Plattform führte. An einer Wand hingen 
Werkzeuge; über dem Tisch schwebte eine Lampe, die zündete er an. 
Auf dem Tische lag das Dienstbuch; er setzte sich und schrieb seinen 
Vermerk hinein. Dann versakck er tu Brüten. In seinem verwetterten 
Gesicht standen sonst ein paar gutmütige Augen; aber die Gutmütigkeit 
war seit Wochen durch Groll und Verbitterung verdrängt. Und heute 
mehr als je. Grimmig sprach er vor sich hin: „Morgen die Ablösung, 
wenn die See nicht zu schlecht ist, morgen ans Land, und was finde ich? 
Nichts, wkd in vier Wochen wieder die alte Nackerei. Wenn ich den Kerl
	        
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