Full text: [Teil 1 = 2. Vorschulklasse, 2. Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 1 = 2. Vorschulklasse, 2. Schuljahr, [Schülerband])

181 
(denn so ward die Königstochter genannt), also daß von Zeit zu 
Zeit Königssöhne kamen und durch die Hecke in das Schloß 
dringen wollten. Es war ihnen aber nicht möglich; denn die 
Dornen hielten, als hätten sie Hände, fest zusammen, und die 
Jünglinge blieben darin hängen, konnten sich nicht wieder los¬ 
machen und starben eines jämmerlichen Todes. Nach langen, 
langen Jahren kam wieder einmal ein Königssohn in das Land 
und hörte, wie ein alter Mann von der Dornenhecke erzählte: es 
sollte ein Schloß dahinter stehen, in welchem eine wunderschöne 
Königstochter, Dornröschen genannt, schon seit hundert Jahren 
schliefe, und mit ihr schliefe der König und die Königin und der 
ganze Hofstaat. Er wußte auch von seinem Großvater, daß schon 
viele Königssöhne gekommen wären und versucht hätten, durch 
die Dornenhecke zu dringen, aber sie wären darin hängen ge¬ 
blieben und eines traurigen Todes gestorben. Da sprach der Jüng¬ 
ling: „Ich fürchte mich nicht, ich will hinaus und das schöne 
Dornröschen sehen.“ Der gute Alte riet ihm ab, aber er hörte 
nicht auf seine Worte. 
4. Nun waren aber gerade die hundert Jahre verflossen, und 
der Tag war gekommen, wo Dornröschen wieder erwachen sollte. 
Als der Königssohn sich der Dornenhecke näherte, waren es lauter 
große, schöne Blumen, die taten sich von selbst auseinander und 
ließen ihn unbeschädigt hindurch, und hinter ihm taten sie sich 
wieder als eine Hecke zusammen. Im Schloßhofe sah er die 
Pferde und scheckigen Jagdhunde liegen und schlafen. Auf dem 
Dache saßen die Tauben und hatten das Köpfchen unter den 
Flügel gesteckt. Und als er ins Haus kam, schliefen die Fliegen 
an der Wand; der Koch in der Küche hielt noch die Hand, als 
wollte er den Jungen anpacken, und die Magd saß vor dem 
schwarzen Huhne, das gerupft werden sollte. Da ging er weiter 
und sah im Saale den ganzen Hofstaat liegen und schlafen, und 
oben bei dem Throne lag der König und die Königin. Da ging 
er noch weiter, und alles war so still, daß einer seinen Atem 
hören konnte. Endlich kam er zu dem Turme und öffnete die 
Tür zu der kleinen Stube, in welcher Dornröschen schlief. Da 
lag es und war so schön, daß er die Augen nicht abwenden 
konnte, und er bückte sich und gab ihm einen Kuß. Wie er es 
mit dem Kusse berührt hatte, schlug Dornröschen die Augen auf, 
erwachte und blickte ihn ganz freundlich an. Da gingen sie zu¬ 
sammen hinab, und der König erwachte und die Königin und der 
ganze Hofstaat und sahen einander mit großen Augen an. Und
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.