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Geschichten.
„Da habe ich gesungen," antwortete die Grille, „meine
Stimme klingt so hell wie eine Flöte, und gewiß habt ihr
mir auch oft mit Vergnügen zugehört." — „Nicht, daß
wir es wüßten," meinten die Ameisen mit Lachen, „dazu
hatten wir keine Zeit. Aber wir wollen dir einen guten
Rat geben; hast du im Sommer die Flöte geblasen, dann
kannst du ja im Winter danach tanzen!"
H.
147. Der Katze die Schelle anhängen.
Die Mäuse hielten einmal eine Volksversammlung, um
sich zu beraten, wie sie den Nachstellungen der Katzen ent¬
gehen sollten. Da war aber guter Rat teuer, und ver¬
gebens rief der Vorsitzer die erfahrensten Mäuse der Ge¬
meinde auf, bis endlich ein junger Mäuserich zwei Finger
emporstreckte und um die Erlaubnis bat zu sprechen. Als
diesem nun das Wort gegeben ward, hub er an und sprach:
„Ich habe lange darüber nachgedacht, warum uns die Katzen
so gefährlich sind. Das liegt nicht sowohl an ihrer Ge¬
schwindigkeit, wovon soviel Wesens gemacht wird: würden
wir sie zu rechter Zeit gewahr, so wären wir wohl behende
genug, in unser Loch zu entspringen, ehe sie uns etwas
anhaben könnten. Ihre Überlegenheit liegt vielmehr in ihren
samtenen Pfoten, unter welchen sie ihre grausamen Krallen
so lange zu verbergen wissen, bis sie uns in den Tatzen
haben; denn da wir den Schall des Katzentritts nicht ver¬
nehmen, so tanzen und springen wir noch unbesorgt über
Tisch und Bänke, wenn der Todfeind schon heranschleicht
und den Buckel zum Sprunge krümmt, uns zu haschen und
zu würgen. Darum ist meine Meinung, man müsse den
Katzen die Schelle anhängen, damit ihr Schall uns ihre
Nähe verkünde, bevor es zu spät ist."
Dieser Vorschlag fand so großen Anklang, daß er als¬
bald zum Beschluß erhoben ward. Es fragte sich jetzt nur
noch, wer es übernehmen solle, der Katze die Schelle an¬
zuhängen. Der Vorsitzer meinte, hiezu werde niemand ge-