Full text: (Für die 1. Vorschulklasse) (Teil 2, [Schülerband])

4. O Wandern, o Wandern, du freie Bnrschenlnst! Da wehet 
Gottes Odem so frisch in die Brust; da singet und jauchzet das Herz 
zum Himmelszelt: „Wie bist du doch so schön, o du weite, weite Welt!" 
Geibcl. 
III. Frühlingsboten aus der Pflanzenwelt. 
12. Das Beilcheri. 
Draußen an der Hecke steht das Veilchen im Herbst einsam und 
verlassen wie ein Kind, dem Vater und Mutter gestorben sind. Bald 
kommt der kalte Winter mit seinen Schloßen und Schneeflocken, und 
das arme Veilchen hat keinen Schutz vor dem bittern Froste. Nur 
mit den abgetragenen und schon halb zerfressenen Sommerkleidern der 
Weißdornbüsche und der wilden Nosengesträuche ist es leicht umhüllt — 
mit erborgten Sachen wie ein Waisenkind. 
Doch sobald der Frühling gekommen ist, wird das Veilchen auf 
einmal sehr reich. Seine vielen seinen Würzelchen erquicken sich am 
süßen Trank. Niedliche Blätter breiten sich nach allen Seiten hin 
ans, jedes schön geformt wie ein Herz und am Rande mit seinen 
Zähnen verziert wie mit einem Spitzenbesatz. Ans dünnem Stiele 
steht keck und lustig die blaue Blüte, fertig zum Frühlingstanze in 
der warmen Luft. Fünf Blättlein, ans blauer Seide gewoben, bilden 
die Blume; fünf grüne Kelchblätter umschließen sie. 
Während das Pflänzchen noch unlängst nackt und bloß da lag, 
kann es jetzt sogar fremde Gäste bewirten. Selbst eine Vorratskammer 
fehlt ihm nicht, denn der zarte, weiche Sporn ist gefüllt mit süßem 
Honigsafte. Nicht lange wird es dauern, so flattern im Sonnenschein 
schöne Schmetterlinge dem Veilchen zu, und auch für das fleißige 
Bienlein ist die Tafel gedeckt. Alle laben sich an dem reichen Mahle, 
und das Veilchen verlangt keinen Lohn. Den Heckenstränchern, die 
sich mit ihren tausend Knospen über seinem Haupte erheben, sendet 
es wonnige Düfte entgegen, als Dank für ihren Beistand in der 
kalten Winterzeit. Wenn die Sonne sinkt, nehmen Schmetterlinge und 
Bienen freundlich Abschied von ihrem gütigen Wirte. 
Am lieben Sonntag aber kommen die Kinder zur Hecke, das 
Veilchen zu suchen. Jubelnd tragen sie das duftende Sträußchen nach 
Hause zum Geschenk für Vater und Mutter. 
Nach Wagner.
	        
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