Strebe vorwärts!
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88. Wie dem kleinen Marel das Haus niederbrannte.
1. Ich erinnere mich noch gar gut an jene Nacht. Ein dumpfer Knall, als wenn
die Tür des Schüttbodens zugeworfen worden wäre, weckte mich auf. Und dann
klopfte jemand ans Fenster und rief in die Stube herein, wer des Klein-Maxel
Haus brennen sehen wolle, der möge aufstehn und schauen gehn.
Mein Vater sprang aus dem Bette, ich erhob ein Jammergeschrei und ge¬
dachte fürs nächste daran, meine Kaninchen zu retten.
Wenn bei besonderen Ereignissen wir anderen über und über aus Rand und
Band gerieten, so war es allemal die Jula, eine alte Magd, die uns beruhigte.
So sagte sie auch jetzt, daß ja nicht unser Haus im Feuer'stehe, daß das Klein-
Maxel-Haus eine halbe Stunde weit von uns weg wäre; daß es auch nicht sicher
sei, ob das Klein-Maxel-Haus brenne, daß ein Spaßvogel vorbeigegangen sein
könne, der uns die Lüg' zum Fenster hereingeworfen, und daß es möglich sei, daß
gar niemand hereingeschrieen hätte, sondern uns das nur im Traume vorge¬
kommen wäre.
Dabei streifte sie mir das Höselein und die Schuhe an, und wir eilten vor
das Haus, um zu scheu.
2. „Auweh!" rief mein Vater, „'s ist schon alles hin."
Über den Waldrücken herüber, der sich in einem weitgebogenen Sattel durch
die Gegend legt und das Ober- und Unterland voneinander schneidet, strebte still
und hell die Flamme auf. Man hörte kein Knistern und Knattern; das schöne,
neue Haus, welches erst vor einigen Wochen fertig geworden war, brannte wie
Öl. Die Luft war feucht, die Sterne des Himmels waren verdeckt; es murrte
zuweilen ein -Donner, aber das Gewitter zog sich sachte hinaus in die Gegend von
Birkfeld und Weitz.
Ein Blitz — so erzählte nun der Mann, der uns geweckt hatte, der Schaf-
Gistel war's — wäre etliche Male hin- und hergezuckt, hätte ein Trudenkreuz auf
den Himmel geschrieben und wäre dann niederwärts gefahren. Er wäre aber nicht
mehr ausgeloschen, der lichte Punkt an seinem Ende wäre geblieben und rasch ge¬
wachsen, und da hätte sich er, der Schaf-Gistel gedacht: Schau du, jetzt hat's den
klein' Maxel getroffen.
3. „Wir müssen doch schauen gehn, daß wir tvas helfen mögen," sagte mein
Vater.
„Helfen willst da?" versetzte der andere. „Wo der Donnerkeil dreinfahrt,
da rühr' ich keine Hand mehr. Der Mensch soll unserm Herrgott nicht entgegen¬
arbeiten, und wenn der einmal einen Himmelletzer (Blitz) aufs Haus wirft, so
wird er auch wollen, daß es brennen soll. Hernach niußt wissen, ist so ein Ein-
schlagets auch gar nicht zu löschen."
„Deine Dummheit auch nicht," rief mein Vater, und zornig, wie ich ihn noch
selten gesehen hatte, schrie er dem Gistel ins Gesicht: „Du bist blitzdumm!"
■1 Er ließ ihn stehen und führte nlich an seiner Hand rasch davon. Wir
stiegen ins Engtal hinab und gingen am Fresenbach entlang, wo wir das Feuer
nicht mehr sehen konnten, sondern nur die Röte in den Wolken. Mein Vater trug
einen Wasserzuber bei sich, und ich riet, daß er denselben gleich an der Fresen
füllen solle. Mein Vater hörte gar nicht drauf, sondern sagte mehrmals vor sich
hin: „Maxel, aber daß dich jetzt so was treffen muß!"
Ich kannte den kleinen Maxel recht gut. Es war ein behendiges, heiteres
Männlein, etwa in den Vierzigern; sein Gesicht war voll Blatternarben, und seine
Hände waren braun und rauh wie die Rinden der Waldbäume. Er war seit
meinem Gedenken Holzhauer in Waldenbach.
„Wenn einem andern das Haus niederbrennt," sagte mein Vater, „na, so
brennt ihn: halt das Haus nieder."
„Jst's beim klein' Maxel nicht so?" fragte ich.
„Dem brennt alles nieder. Alles, was er gestern gehabt hat und heut' hat
und morgen hätt' haben können."