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Kammer und Küche.
Teppich. Die Damen saßen auf Sammetsesseln um einen abgenutzten Tisch. Die
Frau vom Hause und ihre erwachsenen Töchter waren in eleganter Pariser Toi¬
lette, aber als sich eine Seitentür öffnete, sah Anton in dem grauen Nebenzimmer-
einige Kinder in so mangelhafter Garderobe umherlaufen, daß sie ihn bei der
Winterkälte herzlich dauerten. Sie selbst machten sich jedenfalls nicht viel daraus;
denn sie balgten sich und lärmten wie Unholde.
Über den wankenden Tisch wurde eine feine Damastdecke gelegt und ein sil¬
berner Teekessel aufgesetzt. Die Unterhaltung floß vortrefflich. Leichte französische
Witzworte und lebhafte Ausrufe in melodischem Polnisch fuhren durcheinander, da¬
zwischen klang die eintönige deutsche Rede. An dem schnellen Lachen, den Mienen
der Sprechenden und dem Feuer der Unterhaltung merkte Anton, ^ daß er unter
Fremden war. Schnell flogen die Worte, in den Augen und auf den Wangen
glänzte das flüchtige Feuer der heitern Erregung. Es war ein beweglicheres Volk,
elastischer, schwunghafter, leichter ergriffen.
Endlich schlug ein junger Herr einige Akkorde auf dem Flügel an, alles
sprang auf und wollte tanzen. Die gnädige Frau klingelte, vier wilde Männer
stürzten in das Zimmer, ergriffen den großen Flügel und trugen ihn rücksichtslos
hinaus. Die Gesellschaft drängte nach über den Hausflur in den gegenüber
liegenden Saal. Als Anton eintrat, kam er in die Versuchung, sich die Augen
zu reiben. Es war ein leerer Raum mit rohem Kalkanstrichs, Bänke an den
Wänden und in der Ecke ein abscheulicher Ofen. Mitten im Saal hing Wäsche
auf Leinen; Anton begriff nicht, wie man hier tanzen wollte. Aber im Hui wurde
die Wäsche durch die Fäuste der Diener herabgerissen, einer lief zum Ofen und
blies das Feuer an, nach wenigen Augenblicken waren sechs Paare zur Quadrille
angetreten. Selig drehte sich das Völkchen im Takt.
Tanz folgte auf Tanz. Die Köpfe der jungen Herrschaften glühten. Schnurr¬
bärtige Diener drangen wieder in das Zimmer und boten Champagner in Eis.
Antons Blick irrte an den rohen Wänden umher, auf den bestäubten Ofen bis zu
der Decke, von welcher lange graue Spinnweben herunterhingen.
Es war spät, als die Baronin zum Aufbruch trieb; die Pelze wurden in den
Saal gebracht, die Gäste wickelten sich ein, die Schelle läutete und das Glöckchen
klang wieder über die Schneeflüche. G. Freytag, Soll und Haben.
Md. Gorgen im Haushalt.
Wie unangenehm ist es für die sorgsame Hausfrau, wenn in ihrer Nähe eine
Frau wohnt, der zuweilen alles mögliche in der Wirtschaft ausgeht. Sie ist viel¬
leicht eifrig mit dem Bügeln beschäftigt, die Eisen sind schon heiß. Die Zeit reicht
gerade, so daß sie bis Mittag die ganze Wäsche beseitigt haben kann, wenn sie sich
tapfer daran hält.
Da kommt in größter Eile Frau Nachbarin gelaufen: „Ach, beste Frau
Achtsam, können Sie mir nicht schnell vier Eier, drei Tassen Zucker, ein paar
Pfefferkörner und etwas süßen Rahm borgen? Ich bin in der größten Verlegen¬
heit; meine Kousine ist zum Besuch gekommen, und daher muß ich gleich ein kleines
Frühstück machen. Da es zu weit zum Kaufmann ist, sind Sie gewiß so gut und
leihen es mir." Die gefällige Frau Achtsam setzt ihr Bügeleisen auf den Ofen;
innerlich seufzt sie, weil sie nun ihren Nachmittag doch noch teilweise zum Bügeln
verwenden muß.
Dann geht sie zum Speiseschrank, zum Gewürzkasten, holt eine Tasse, mißt
den Zucker aus, sucht eine Papierdüte, leert ihn hinein. Das alles hält aber doch
bedeutend auf. Endlich ist alles herbeigeschafft und Frau Gedankenlos will schon
die Türe zumachen, da füllt ihr noch ein, daß sie ja noch eine Scheibe Speck und
etwas Senf gebrauche. Den Speck kann sie noch in die Tasche schieben, aber den
Senf? — „Ach, liebe Frau Achtsam, nicht wahr, Sie schicken ihn mir herum?"
„Gewiß, Frau Gedankenlos, gleich soll meine Kleine ihn hinübertragen, sie
hätte eben den Mittagstisch decken sollen."