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Zweiter Teil. In Dorf und Heimat
II. Im wirtschaftlichen Verkehr.
135. wirtschaflsstufen in der Geschichte der
Volkswirtschaft.
Der heutige Zustand der zivilisierten Völker, welcher diesen ein Kul¬
turleben ermöglicht, wie es früher nie bei einem Volke möglich war,
hat sich im Verlauf der Geschichte der Menschheit erst allmählich aus¬
gebildet. Die heutige Volkswirtschaft ist also das Ergebnis einer langen
geschichtlichen Entwicklung.
Seitdem Menschen das Feuer anzünden und unterhalten, seit sie
neben pflanzlichen Nahrungsstoffen auch regelmäßig Fleischnahrung be¬
gehren, Geräte und Werkzeuge erfinden und mit gemeinsamer Sprache
und Sitte in politischen Gemeinschaften tätig sind, unterscheidet man
zwei Gruppen von wirtschaftsstufen. Einmal wird die Unterscheidung
vorgenommen nach dem Zustand der volkswirtschaftlichen Erzeugung
von Gütern oder dem Zustand der Produktion, andererseits nach
dem Zustand des T a u s ch v e r k e h r s. Die Grundformen bei der ersteren
Unterscheidung sind: die wirtschaftsstufen des Fägervolkes bzw. Fischer¬
volkes, des Hirten-(Nomaden-) Volkes, des seßhaft gewordenen reinen
Uckerbauvolkes, des Gewerbe- und Handelsvolkes, des Industrievolkes,
werden dagegen die Entwicklungsstufen des wirtschaftlichen Lebens nach
der Urt des vorherrschenden Uustausches untersucht, so ist zu unter¬
scheiden zwischen Naturalwirtschaft, Geldwirtschaft und Ureditwirtschaft.
Die Naturalwirtschaft bezeichnet den Zustand der Volkswirt¬
schaft, in welchem, soweit überhaupt ein Tauschverkehr stattfindet, die
Tauschgeschäfte ausschließlich oder doch in der Negel Naturaltausch¬
geschäfte sind: eine Gabe der Natur oder ein Ergebnis menschlicher Ur-
beit wird gegen Gleichartiges ausgetauscht. Gemünztes Metallgeld ist
entweder noch völlig unbekannt oder wird nur sehr selten verwendet.
Überhaupt werden nur wenig Tauschgeschäfte vorgenommen. Zwischen
den Privatwirtschaften besteht noch kein regelmäßiger Tauschverkehr,
weil im allgemeinen jede Wirtschaft selbst alles das hervorbringt, dessen
sie bedarf und das sie verwendet oder verzehrt. Städte und Stadtwirt¬
schaften bestehen noch nicht. Der Staat dagegen erfüllt seine nur ge¬
ringen Leistungen zum Teil unmittelbar durch unentgeltliche Zwangs¬
leistungen seiner Nngehörigen. Er braucht beispielsweise kein kost¬
spieliges Heer zu unterhalten, vielmehr ist das ganze Volk ein „Volk in
Waffen", das zusammentritt, wenn die Not es erfordert. Soweit der
Staat materielle Mittel gebraucht, beschafft er sich diese Sachgüter aus
eigenem vermögen, vor allem aus dem staatlichen Grundbesitz (Do¬
mänen) oder dadurch, daß seine Angehörigen die Sachgüter (in Natur)
liefern, d.h. durch sog. Naturallieferungen. Auch die staatlichen Neamten
erhalten die Entschädigung für ihre Arbeitsleistungen in unmittelbaren
Gebrauchsgütern, die zuni Teil auf den Domänen gewonnen, zum Teil
von den Staatsangehörigen aus deren Grundbesitz und Ernteergebnis