Full text: Deutsches Lesebuch für Handelsschulen

gedankenvoll von seinen Briefen weg hinauf an die braungetäfelte 
Zimmerdecke so stark geschaut hatte, als wolle er die Fliegen oben 
zählen, er sechsmal hintereinander mit feinem Schwanenkiel in das 
grotze silberne Tintensatz tunkte, die übervolle Feder gewaltig auf den 
Tisch stampfte und dadurch den vor ihm liegenden angefangenen Brief, 
von oben bis unten mit Tintenflecken benetzt, auf einmal fertig 
machte. Herr Hermann, ihm gegenübersitzend, fuhr fast erschrocken 
vom Sitze auf und sagte: „Ei, Jansen, haben wir denn heute St. Beits- 
tag oder seid ihr, vielleicht zum erstenmal in euerem Leben, fo früh 
schon in den Ratskeller geraten und habt von einem spanischen Fätzlein 
gekostet?" — „Nein, Herr," antwortete Jansen mürrisch, „aber so geht's 
nimmer; bei uns in Deutschland ist's aus mit dem Gewinn auf gewöhn¬ 
lichem Wege bei dem verwetterten Kriege. Potz Blitz und Gustav! 
was hilft uns unser grotzes Schiff, das immer an der Küste lvie eine 
Schnecke sich hinwindet, um uns die sündteuren Waren von den geizigen 
Mynheern aus Holland herbeizuholen? Wir müssen zwanzigfach be¬ 
zahlen, was wir einfach aus der ersten Hand haben könnten von ihren 
Nachbarn, den Engländern, und in Amerika selbst. Gebt mir auf ein 
Jahr das Schiff und soviel Geld und Nürnberger Waren als möglich 
und lagt mich nach der neuen Welt fahren; ihr witzt, der alte Jansen 
war schon zweimal dort und versteht den Kram. Zivar der alte Herr war 
auch immer ängstlich und meinte, es lasse sich ja ohne grotzes Wagnis 
schon bei uns etwas gewinnen; aber das ist nun anders geworden, 
darum mutz man's anders treiben." Da standen die beiden Herren 
auf, gingen im Zimmer auf und ab und beratschlagten. Nachdem nun 
jedes Für und Wider hinreichend erwogen worden, wie es verständigen 
Männern geziemt, wurde beschlossen, datz Jansen reisen sollte. 
Bier Wochen später schritt Herr van Steen in seinem Ratsherren- 
gewande mit Jansen neben und zwei schwer bepackten Dienern hinter 
sich dem Hafen zu. Die den ganzen Hafendamm bedeckende Menge 
Volks, die unter Munk und Jauchzen der ganzen Zurüstung und Ab¬ 
fahrt des grotzen Handelsschiffes harrte, machte ehrerbietig Platz, als 
Herr Gruit mit Jansen ankam; denn der wackere Mann war geliebt 
und geachtet von alt und jung, vornehm und gering. Einige Rats¬ 
herren, Freunde der beiden, traten freundlich grützend hinzu, und der 
ältere, ein Blaun mit greisem Haar und Bart, sprach: „Freund 
Hermann, euer Schiff ist schwer bepackt und geladen; ihr habt doch 
nicht zuviel gewagt? Denn weit ist der Weg und gefährlich die 
Fahrt; und unser Jansen ist eben keiner der Jüngsten mehr." Herr 
Hermann zuckte die Achseln und sprach: .Der Jansen hat's auf sich; 
ihm, seiner Treue, Kenntnis und Geschicklichkeit hab' ich vertraut und 
alles überlassen." Aber Jansen antwortete munter: „Latzt's euch 
nicht anfechten, ihr Herren! Es ist das drittemal, datz ich die Fahrt 
mache, und aller guten Dinge sind ja drei; drum hoffe ich fest, wir 
sehen uns gesund und freudig wieder; wir haben ja das Sprichwort: 
Gott verlätzt keinen Deutschen und den alten Jansen nun schon 
einmal gar nicht; darum lebet wohl!"
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.