Full text: Deutsches Lesebuch für Handelsschulen

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Rettung war daher um so weniger zu rechnen, als der gänzliche 
Mangel an Trinkwasser ein langes Abwarten der Hilfe unmöglich 
machte. Das Schilf ging zwar nicht völlig unter, und wir konn¬ 
ten Lebensnyttel aller Art in hinlänglicher Menge bergen, aber 
der Wasserbehälter hatte sich mit Seewasser gefüllt. Das noch 
in den Kabinen befindliche Wasser bildete daher unseren einzigen 
Besitz, von dessen sparsamer Verwendung es abhing, wie lange 
wir den Kampf ums Dasein fortführen konnten. 
Doch es drohte noch eine andere große Gefahr. Die Schiffs¬ 
besatzung bestand bei den schönen und großen Dampfern der 
Peninsular- and Oriental-Company, die den Dienst zwischen 
Suez und Indien damals versah, fast nur aus eingeborenen Leuten, 
da Europäer dem Klima des Roten Meeres nicht lange zu wider¬ 
stehen vermögen. Unter den etwa 150 Personen, die die. Be¬ 
mannung der „Alma“ bildeten, befanden sich daher außer den 
Schiffsoffizieren nur drei oder vier Europäer. Der Kapitän war 
krank und soll bald nach dem Schiffbruch infolge der Aufregung 
gestorben sein. Die Offiziere hatten durch die schlechte Schiffs¬ 
führung ihr Ansehen eingebüßt und vermochten die Ordnung 
unter der Mannschaft nicht mehr aufrecht zu erhalten. Diese 
fing daher an zu meutern, versagte den Gehorsam, erbrach die 
geborgenen Koffer der Reisenden und benahm sich rücksichtslos 
gegen die Damen. In dieser Not vollzog sich ein Akt freiwilliger 
Staatenbildung. Die tatkräftigsten der jüngeren Männer, zu denen 
namentlich eine Anzahl auf der Heimreise von Indien begriffener 
englischer Offiziere gehörten, bemächtigten sich der alten Ge¬ 
wehre mit Bajonett, die wohl mehr zur Zierde als zu ernstlichem 
Gebrauche auf dem Schiffe waren, und verkündeten das Stand recht. 
Ein sich widersetzender trunkener Matrose wurde nieder gestoßen und 
auf der Höhe des felsigen Hügels ein Galgen als Zeichen unserer 
Macht errichtet. Dorthin wurden auch alle geborgenen Lebensrnittel 
geschafft, vor denen beständig ein Posten auf und ab ging. Das 
wirkte beruhigend und hielt die Schiffsmannschaft in Gehorsam. 
Vor allen Dingen war es nötig, Schutz gegen die Sonne zu 
schaffen, die um diese Jahreszeit mittags senkrecht auf die Insel 
niederstrahlte. Es begann daher eine eifrige Tätigkeit, um mit 
Hilfe der Segel und Rahen Zelte zu bauen. Ferner wurde eine Küche 
eingerichtet, in deren Nähe die Lebensrnittel, besonders das Wasser 
sowie die Vorräte an Bier und Wein, in Sicherheit gebracht wurden. 
Einer meiner Begleiter, Herr Ne wall, war gleich bei Tages¬ 
anbruch mit einem der drei Boote, die uns zur Verfügung stan¬ 
den, nach Mokka gefahren, dem nächsten Orte an der arabischen 
Küste, um Hilfe zu holen. Er fand sie dort nicht und fuhr daher 
weiter nach der Straße von Babel Mandeb, in der Hoffnung, dort 
einem Schiffe zu begegnen. Es war diese Fahrt auf einem gebrech¬ 
lichen offenen Boote ein kühnes Unternehmen, aber unsere einzige 
Hoffnung hing daran. Glücklicherweise fand Herr Ne wall in der Nähe
	        
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