B. Des Hauses Gemeinschaftsleben.
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bringen? Neues Leben, neue Sorgen! Die ganze Last der Arbeit
liegt jetzt auf ihren Schultern,-es wäre zum verzweifeln.
Draußen schallen Helle Rinderstimmen. Mit Blumen und Blättern
beladen, kommen ihre Buben und Mädchen zurück. „Nun wollen wir
Vater schmücken," sagt der Rnirps,- fast hätte er vor Freuden ge¬
jubelt. Der Große legt auf Vaters Brust einen Strauß, indes das
älteste Mädchen einen Kranz von Laub flicht. Die Mutter steht
dabei und schaut mit leuchtenden Augen zu. Ihr wird das herz weit
beim Anblick ihrer Rinder. Eine Träne rollt über ihre lvange. Sie
wischt aber diese Träne nicht ab- ist es doch die erste Freudenträne
ihres Witwenstandes. „Meine Rinder, mein Glück," flüsterte sie leise
vor sich hin. - -Otto Böckel, Dorfbilder aus Hessen und der Mark.
28. a) Lrntetag und Srntegedanken.
Melodisch rauschen die Sensen durch die Halme, und hoch über
den emsigen Schnittern und sinkenden Ähren singt die Lerche ihr Lied.
Dort am ersten Acker setzen sie gerade die Sensen an. Sie haben's
nicht so eilig, wissen sich erst noch etwas zu erzählen, lachen dann gar
lustig und sind guten Mutes. Vas ist der Christoph und seine
junge Frau. Gestern, am Sonntag, haben sie Hochzeit gehabt und
machen heute ihre Hochzeitsreise aus den Rornacker. Christophs
Eltern sind gestorben, und es beginnen nun die jungen Leute die
Arbeit auf dem überkommenen Gute. Ls ist ihre erste Ernte, hoff-
nungsfroh und schaffensfreudig treten sie an den ersten Acker. Dieser
„Anschnitt" wird von ihnen zeitlebens nicht vergessen. Ls ist ein
goldener Lrntetag. haben sie auch schon manchmal unter der Eltern
Leitung mitgeerntet, so war es doch ohne Berechnung. — heute ist's
anders, ihr Eigentum — für ihre Tasche und eigene Familie, aus
ihrem Felde, von ihrer Frucht. Mir freuen uns der fröhlichen An¬
fänger und wünschen: Gott schenke euch jungen Leuten eine reiche
Ernte!
Dann steigen wir höher hinan. Dort steht der Daniel mitten
auf dem großen Acker und schlägt gar kräftig in die Halme hinein.
Er hat keine Zeit zum Lachen und Umsichschauen, denn er steht mitten
in der Ernte. In früheren Jahren war ihm die getreue Hausfrau
zur Seite, heute aber muß sie daheim den Haushalt versorgen und
der drei jüngsten Rinder warten. Aber der Gottfried, Daniels
Altester, und die beiden Schwestern, die sind schon groß und nun
des Vaters Stütze. Der Daniel sollte sich billig freuen über die
Hilfe seiner großen Rinder. Doch es schien kein freundlicher Blick
zu sein, den er vorhin dem Gottfried zuwarf. „Ja, große Rinder,
große Sorgen," so seufzt der Daniel, und ich bin gewiß, wenn er heute
abend bei seiner Hausfrau im kleinen Stübchen sitzt, dann sagt er
wohl: Nun wollte ich alle die Mühe und den Schweiß „mitten in
der Ernte" gern ertragen, wenn mir der Gottfried bessere Früchte
trüge. 6) Daniel, der du stehest inmitten der Ernte, der du dich
freutest an manchem Lrntetag auf die Zeit, wo du auch die goldenen