Full text: Deutsches Lesebuch für Handelsschulen sowie für Real- und höhere Bürgerschulen

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macherkunst und Schatzgräberei die Phantasie des Volkes beschäftigt, 
jetzt schien die glückliche Zeit gekommen, wo jeder Fischtiegel sich auf 
des Münzers Wage in Silber verwandeln konnte. Es begann ein 
tolles Geldmachen. Daß reines Silber und altes Silbergeld im kauf— 
männischen Verkehr auffallend und unaufhörlich teurer würden, so daß 
endlich für einen alten Silbergulden vier, fünf und mehr neue Gulden 
gezahlt werden mußten, und daß die Preise der Waren und Lebens— 
mittel langsam höher stiegen, das kümmerte die Menge nicht, so lange 
das neue Geld, dessen Produktion sich ja ins Unendliche vermehren 
ließ, immer noch willig genommen wurde. Die Nation, ohnedies auf⸗ 
geregt, geriet zuletzt in einen wilden Taumel. Überall schien Gelegen— 
heit, ohne Arbeit reich zu werden. Alle Welt legte sich auf Geldhandel. 
Der Kaufmann machte Geldgeschäfte mit dem Handwerker, der Hand— 
werker mit dem Bauer. Ein allgemeines Umherlungern, Schachern, 
Übervorteilen riß ein. Der moderne Schwindel mit Allien und Börsen 
papieren giebt nur eine schwache Vorstellung von dem Treiben der 
damaligen Zeit. Wer Schulden hatte, jetzt eilte er, sie zu bezahlen. 
Wem der gefällige Münzer einen alten Braukessel in Geld umschlug, 
der konnte dafür Haus und Acker kaufen.“) Wer Gehalte, Sold und 
Löhne auszuzahlen hatte, der fand es sehr bequem, die Summen in 
weißgesottenem Kupfer hinzuzählen. In den Städten wurde nur noch 
wenig gearbeitet, und nur um sehr hohes Geld. Denn wer einige alte 
Thaler, Goldgulden oder anderes gutes Reichsgeld als Notpfennig in 
der Truhe liegen hatte — wie damals fast jedermann — der holte 
seinen Vorrat heraus und setzte ihn vergnügt in das neue Geld um, 
da der alte Thaler merkwürdigerweise vier-, ja sechs- und zehnmal so 
viel zu gelten schien als früher. Das war eine lustige Zeit. Wenn 
Wein und Bier auch teurer waren als sonst, sie waren es doch nicht 
in demselben Verhältnis wie das alte Silbergeld. Ein Teil des Ge— 
winnes wurde im Wirtshaus verjubelt. Auch zu geben war 
man in solcher Zeit. Die sächsischen Städte bewi n auf dem Land⸗ 
tage zu Torgau mit Leichtigkeit einen hohen Zuschlag zur Landsteuer, 
wär doch Geld überall im Überfluß zü haben! AÄuch zum Schulden— 
machen war man sehr bereit, denn überall wurde Geld zu günstigen 
Bedingungen angeboten und überall konnte man Geschäfte damik machen. 
Deshalb wurden von allen Seiten große Verpflichtungen übernommen. 
— So trieb das Volk in starker Strömung zum Verderben. 
IV. 
Aber es kam die Gegenströmung, zuerst leise, dann immer stärker. 
Zuerst klagten alle die, welche vom festen Gehalte ihr Leben bestreiten 
) Das neue Geld war fast lauter Kupfer, nur gesotten und weiß bemunt 
das hielt etwa acht Tage, dann wurde es zunderrot. Da wurden die Blasen, Kessel, 
Röhren, Rinnen, und was sonst von Kupfer war, in die Münze getragen und zu 
Gelde gemacht. Ein ehrlicher Mann durfte sich nicht mehr getrauen, jemanden zu 
beherbergen; denn er mußte Sorge ren der Gast breche ihm in der Nacht die 
Ofenblase aus und laufe ihm davon. Vo eine Kirche ein altes kupfernes Taufbecken 
hatte, das mußte fort zur Münze und half ihm keine Heiligkeit; es verkauften's, 
die darin getauft waren. (Müller, Chronika von Sangerhausen.) 
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