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Frische," sagte er. „Die Luft ist zmn sticken: man hat keinen Mut,
auch nur eine Note zu singen." Der Apfelbaum aber raunte schläfrig:
"Mir ist so dürr zu Mut, Regen brause aufs Land und tränke die
dürstende Erde, ich möchte mit Wurzeln und Blättern mich satt trinken."
4.
Zu derselben Zeit schlichen zwei Knaben am Gartenzaun entlang
und suchten Vogelnester. „Du, Fritz," sagte der eine, „siehst du den
alten Buchfink auf dem großen Apfelbaum? Ich wette, der hat hier
sein Nest. Wenn wir nur hinauf könnten." Sie standen gerade unter
dem Baum. Die Buchfinken erschraken heftig, denn sie verstanden sehr
gut, was die bösen Buben im Schilde führten. Das Weibchen drückte
sich ängstlich ins Nest, das Männchen verbarg sich schleunigst hinter
einigen Blättern, und die Jungen saßen mäuschenstill und rührten sich
nicht vom Fleck. „Er ist fortgeflogen," sagte der Junge wieder zu seinem
Kameraden. „Ich kann auch nichts von einem Neste spüren, der Baum
hat so dichtes Laub. Wir wollen nur weitergehen."
„Nein," entschied Fritz, „ich will hineinklettern und Umschau halten,
ich glaube gewiß, daß hier ein Nest ist, denn ich hörte schon oft das
Geschrei junger Vögel im Baum. Und dann kann ich auch gleich sehen,
ob der Baum voll sitzt. Es ist nur für den Herbst, wenn wir Äpfel
schütteln wollen."
„Thu's nicht!" warnte sein Kamerad. „Der Zaun hält dich nicht,
und der Ast, den der Baum herüberstreckt, scheint alt und morsch.
Sieh nur, wie wenig Blätter er trägt. Ich traue dem Dinge nicht,
laß uns lieber weitergehen."
Die Warnung kam zu spät. Fritz saß schon auf dem Zaun und
langte eifrig zum Aste empor. Bald schwebte der kühne Wäger
zwischen Himmel und Erde und versuchte mit gewandtem Schwünge
das rechte Bein auf den Ast zu werfen. Da gab's plötzlich einen argen
Krach, und Zweig und Junge lagen am Boden. — In demselben
Augenblicke erhob sich ein großer Wind, welcher dichte Staubmassen
über das Feld trieb; schon fielen einzelne schwere Tropfen, ein lang¬
gezogener Donner rollte durch die Wolken. Eilig raffte der Junge sich
auf, beide nahmen ihre Pantoffeln in die Hand und rannten spornstreichs
dem elterlichen Hause zu. Die Vögel atmeten auf. „Habe Dank, lieber
Apfelbaum, du hast uns errettet aus großer Gefahr," ries der alte
Buchfink und hüpfte vergnügt zu seinem Weibchen, um es zu beruhigen.
Mittlerweile erstarkte der Wind zum Sturme. Er schüttelte am
Baume, als wollte er ihn entwurzeln. Zweige und Früchte prasselten
zur Erde; dazwischen leuchteten die Blitze und krachte furchtbar der Donner.
Der Regen stürzte in Strömen herab. Das kleine Nest aber hielt
Wefing u. de Roer, Lesebuch für Unterstufen. I. 10