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Wir wollen mit Geschenken
Die Götter reich bedenken
Und jubeln in der Gäste Schwarm.“
Doch solchen Sänger zu vernehmen,
Das reizet ihren wilden Sinn.
„Und wollt ihr ruhig lauschen,
Laßt mich die Kleider tauschen;
Im Schmuck nur reißt Apoll mich hin.“ —
Der Jüngling hüllt die schönen Glieder
In Gold und Purpur wunderbar;
Bis auf die Sohlen wallt hernieder
Ein leichter, faltiger Talar;?
Die Arme zieren Spangen,
Um Hals und Stirn und Wangen
Fliegt duftend das bekränzte Haar—
Die Zither ruht in seiner Linken,
Die Rechte hält das Elfenbein;/
Er scheint erquickt die Luft zu trinken,
Er stralt im Morgensonnenschein.
Es staunt der Schiffer Bande;
Er schreitet vor zum Rande
Und sieht ins blaue Meer hinein.
Es bleiben Wind und See gewogen,
Auch nicht ein fernes Wölkchen graut;
Er hat nicht allzu viel den Wogen,
Den Menschen allzu viel vertraut.
Er hört die Schiffer flüstern,
Nach seinen Schätzen lüstern;
Doch bald umringen sie ihn laut.
„Du darfst, Arion, nicht mehr leben!
Begehrst du auf dem Land ein Grab,
So mußt du hier den Tod dir geben;
Sonst wirf dich in das Meer hinab!“ —
„So wollt ihr mich verderben?
Ihr mögt mein Gold erwerben,
Ich kaufe gern mein Blut euch ab.“ —
„Nein, nein, wir lassen dich nicht wandern;
Du wär'st ein zu gefährlich Haupt!
Wo blieben! wir vor Periandern,
Verriet'st du, daß wir dich beraubt?
Uns kann dein Geld nicht frommen,
Wenn, wieder heim zu kommen,
Uns nimmermehr die Furcht erlaubt.“ —
„Gewährt mir denn noch eine Bitte,
Gilt, mich zu retten, kein Vertrag,
Daß ich nach Zitherspieler Sitte,
Wie ich gelebet, sterben mag.
Wann ich mein Lied gesungen,
Die Saiten ausgeklungen,
Dann fahre hin des Lebens Tag!“
Die Bitte kann sie nicht beschämen,
Sie denken nur an den Gewinn;
Bleiben — slandhalten, bestehen. 2Mur wenn ich festlich
gekleidet bin, würdigt mich der Golt der Musensseiner Eingebung.
Die Gabe des Gesanges und der Dichtkunsi wird als ein Ausfluß der Goltheit be—
trachtet. Ein bis auf die Knochel (t a Ius) herabwallendes, meist reichfaltiges Gewand.
Die Saiten der Lyra wurden mit einem elfenbeinernen Stäbchen (1äuον an-
geschlagen. *Wer ist diese Gefährtin ? s Der Sänger ist so lebhaft mit dem Gedanken
seines nahen Todes beschäftigt, daß ihn seine Phantasie schon die Seligen erblicken
läßt, die bereits über den Höllenfluß gefetzt und im Elysium angekommen waren.
Drpheus! Gattin, Eurydike, war durch den Biß einer Schlange getötet worden.
Pluto versprach dem betrübten Gemahle die Rückgabe derselben, wenn er, ohne
umzusehen, sie aus dem Hades führen würde. Orpheus blickte nach Eurhdiken zurug
und sie verschwand. Du, Orpheus, konntest freudigen Herzens hinabsteigen, weil
du Verlorenes suchtest; ich hingegen verliere durch den Tod meinen Freund.
Zettel, Lesebuch. 25
Er sang: „Gefährtin? meiner Stimme,
Komm, folge mir ins Schattenreich!
Ob auch der Höllenhund ergrimme,
Die Macht der Töne zähmt ihn gleich.
Elysiums Heroen,
Dem dunklen Strom entflohen,
Ihr friedlichen, schon grüß' ich euch.
Doch könnt ihr mich des Grams entbinden?
Ich lasse meinen Freund zurück.
Du gingst, Eurydiken! zu finden;
Der Hades barg dein süßes Glück.
Da wie ein Traum zerronnen,
Was dir dein Lied gewonnen,
Verfluchtest du der Sonne Blick.
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