Full text: [Teil 3 = (4. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 3 = (4. Schuljahr), [Schülerband])

Bilder aus der vaterländischen 
Geschichte. 
64. Der Überfall von RKathenow. 
Es ist ein schöner, warmer Juniabend. Die Wiesen duften, und die 
Käfer summen. Schon breitet die Nacht ihre dunklen Schleier über die 
schlummernde Welt aus. 
In der Stadt Rathenow ist es noch lebendig. Der Landrat von 
Briest ist nach einer geheimen Verabredung mit dem Kurfürsten in der 
Abenddämmerung eingetroffen und hat ganze Wagenladungen voll Bier 
und Branntwein nach der Stadt bringen lassen. Auch eine ausgeschriebene 
Geldsumme liefert er ab. Die Wachen erhalten Bier im überfluß. Der 
Rest wird unter die Besatzung verteilt. 
Auf dem freien Platze vor dem Mühlentor lagert ein haufe schwedischen 
Kriegsvolkes. über fünf Feuern werden an Spießen fünf ganze Ochsen 
gebraten. Die Bürger aber müssen das holz zur Unterhaltung des Feuers 
herbeischaffen. Einige Soldaten tanzen, andere bringen eine Tonne Bier 
herbei; überall herrscht Sorglosigkeit und übermut. 
In dem hause des Kaufmanns Kaspar Bach, wo der Oberst Wangelin 
im Quartier lag, ging es am lautesten zu. Weithin über den Marktplatz 
schallte der Lärm. Der Oberst hatte sämtliche Offiziere zu einem Trink— 
gelage eingeladen. Ein so vortrefflicher Trunk wie das berühmte 
Rathenowsche Bier war ihnen in der Mark noch nicht vorgekommen. 
Daher durften auch die Braupfannen nicht mehr kalt werden. 
Der Oberst begrüßte die Versammlung mit den Worten: „Meine 
herren, da uns der Kurfürst von Brandenburg keine Gelegenheit gibt, 
mit dem Degen Ruhm zu erwerben, so wollen wir unsere Tapferkeit am 
Zechtisch beweisen. Tut mir Bescheid, ihr herren!“ 
Er setzte den Krug an und leerte ihn auf einen Zug. Die andern 
kamen ihm nach, und die Diener eilten, sämtliche Krüge frisch zu füllen. 
Als die Mitternacht herankam, war alles still. Die Zecher lagen 
in ihren Quartieren und schliefen den Schlaf des Gerechten.
	        
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