Full text: Lese- und Lehrbuch für gewerbliche Fortbildungsschulen und andere gewerbliche Lehranstalten

In Freud und Leid — des Herrn allzeit. 
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fabrik. Doch schon nach wenigen Monaten mußte er größere Arbeits— 
räume anlegen und Gehilfen einstellen. Aus allen Fabriken und Brenne— 
reien in der Umgegend wurden ihm die Reparaturarbeiten übertragen. 
Seine Armaturstücke waren in kurzer Zeit berühmt. Vom Rhein und 
von der Donau, aus Frankreich und Rußland, aus Schweden und Italien, 
ja, in wenigen Jahren sogar aus England und Amerika gingen Aufträge 
darauf ihm zu, und kaum fünf Jahre nach seinem armseligen Einzuge in 
Köfarsleben weihte Meister Reimann ein Armaturfabrikgebäude ein, 
in welchem hundert Drehbänke und sechs Gießöfen in voller Tätigkeit 
waren. Sein Kontorpersonal allein bestand aus einem Kassierer, einem 
Buchhalter, einem französischen, einem englischen, einem russischen und drei 
deutschen Korrespondenten. Und zu diesem glänzenden Erfolge hat Meister 
Reimann nichts weiter bedurft als Fleiß, Geschick und Sparsamkeit. 
— Glaubst du nun, daß man auch ohne Lug und Trug noch zu etwas 
kommen kann, Hamburger?“ 
Der Magdeburger blickte lachend zu dem Hamburger hinüber, als er 
mit diesen Worten seine Erzählung schloß. Der Hamburger aber ent— 
gegnete verdrießlich: „Pah, Magdeburger, deine Geschichte ist recht hübsch; 
aber wahr ist sie nicht.“ „Wahr ist sie doch,“ rief nun der Leipziger 
dazwischen; „du hast uns bloß falsche Namen genannt, Magdeburger, gelt? 
Dein Köfarsleben heißt —“ „pst, Leipziger, keinen Namen nennen! 
Man weiß nicht, ob es dem Manne recht ist, wenn wir von seinem 
früheren Elend reden.“ „Dummes Zeug, Magdeburger, ich habe bei 
deinem Meister Reimann selber gearbeitet und kenne ihn nun ganz genau. 
Jawohl, Hamburger, der Magdeburger hat recht, und dieser Meister Rei— 
mann, der heute an zweihundert Arbeiter hat, geht noch immer mit auf— 
gestreiften Hemdärmeln und blauer Schürze durch die Werkstätten. Aber 
wehe dem, der ihn anders anreden wollte, als Meister Reimann. Bloß 
die Herren im Kontor dürfen Herr Reimann zu ihm sagen. Ist's nicht 
so, Magdeburger?“ „Stimmt,“ entgegnete dieser. „Auf solchen Mann 
müssen wir einmal anstoßen, Magdeburger, Prosit!“ sagte der Flens— 
burger. „Prosit! Es lebe Meister Reimann, der wackere Gelbgießer— 
meister in Köfarsleben!“ 
Der Magdeburger, der Hamburger, der Flensburger und der Leipziger 
haben noch manches traute Wort miteinander geredet am selbigen Abend, 
bis endlich der Herbergsvater zur Abendandacht einlud und alle zur 
Ruhe gingen. 
4. Meister Reimanns Vorbild. Jahre waren seit jenem Tage in 
der Stettiner „Herberge zur Heimat“ verflossen. Der Magdeburger war 
längst ein Meister in seinem Fache geworden. Von den drei anderen 
Wanderburschen hatte er nichts wieder gehört. Eines Tages befand er 
sich auf einem Dampfer, um ein paar Sommertage an der Nordsee zu ver⸗ 
leben; denn er konnte es sich leisten. Da bemerkte er unter den Passagieren 
einen Mann, dessen Gesichtszüge ihn lebhaft an den Hamburger aus der 
Stettiner Herberge erinnerten. Lange verfolgte er den Mann mit seinen 
Blicken. Als er ihn aber endlich „Herr Koeck“ anreden hörte, legte er ihm 
die Hand auf die Schulter und rief. „Na, Hamburger, wie es scheint, bist
	        
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