22 L. Der Gewerbestand und die Ausbildung des Gewerbetreibenden.
Hälfte durch die Innung, die andere Hälfte aus der Zahl der Gesellen
Gesellenausschuß), welche die Prüfung bestanden haben, bestellt. In der
Prüfung hat der Lehrling nachzuweisen, daß er die in seinem Gewerbe
gebräuchlichen Handgriffe und Fertigkeiten mit genügender Sicherheit aus—
zuüben vermag und sowohl über den Wert, die Beschaffung, Aufbewahrung
und Behandlung der zu bearbeitenden Rohstoffe als auch über die Kenn—
zeichen ihrer guten und schlechten Beschaffenheit ausreichend unterrichtet
ist 8 131). Auch kann sich die Prüfung auf die Buch- und Rechnungs—
führung erstrecken, wenn dies nach den örtlichen Verhältnissen wünschens—
wert scheint. Das Ergebnis der Prüfung wird in einem Lehrzeugnisse
oder Lehrbriefe beurkundet.
3. Wenn die Handwerker-Vertretung die ihr vom Staate und den
Regierungen anvertraute Aufgabe nach dem Gesetze gewissenhaft erfüllt,
so werden die Lehrlinge wohl vorbereitet in den Kreis der selbständigen
Handwerker eintreten und, sich selbst zum Segen und ihrem Stande zur
Ehre, den Ruhm des deutschen Handwerkes und Gewerbes mehren helfen.
Nach Gehrig und Dr. Schellen „Der Handwerker.“ G. B. Teubners Verlag.
18. Schule und TLeben.
1. Mit fröhlichem Mute verließ ich das elterliche Haus, um zum
letztenmal in die Volksschule zu gehen. Aber — merkwürdig — je
naäher ich dem Schulhause kam, desio mehr sank mir der kecke, jugend—
liche Übermut, mit dem ich so oft den gewohnten Weg beschritten. Er
wich einer sonderbaren Traurigkeit und Wehmut. In ernster Stimmung
betrat ich daher das Schulzimmer, und still und ruhig setzte ich mich
auf meinen Platz. Bald darauf tat sich die Tür auf. Der Lehrer
trat in die Klasse.
Ich weiß nicht wie es kam, aber der Lehrer erschien heute meinen
Augen ganz anders, so wunderbar verwandelt. Verschwunden schien
mir aus den ernsten Zügen die Strenge, und seine lichtbraunen Augen
blickten so mild und so freundlich auf uns Knaben herab, als hätte
es niemals Zeiten gegeben, in denen wir vor dem strengen Zornesblitze
dieser Augen gezittert hatten. Sonst hatte ich immer so keck dem Lehrer
ins Angesicht geschaut; heute vermochte ich dem warmen Strahle, der
uns aus seinen Augen entgegenleuchtete, nicht standzuhalten. Ein
Gefühl tiefer Beschämung und Reue stieg in meiner Seele empor und
ließ mich in meinem Jnnern tiefe Abbilte tun für all den Verdruß,
den ich ihm so oft in dem Unverstande meines Herzens bereitet hatte.
Ja, als der Lehrer nun mit herzlichen, warmen Worten, aus denen
man so deutlich die innigste Liebe heraushören konnte, Abschied von
uns nahm, daä traten mir unwillkürlich Tränen in die Augen, und
ich mußte meinen ganzen trotzigen Knabenmut zusammennehmen, um
nicht in lautes Weinen auszubrechen. Als aber der Lehrer zuletzt
jedem von uns die Hand reichte und von jedem einzelnen Abschied
nahm, da konnte ich es doch nicht verhindern, daß heiße Tränen über
meine Wangen auf die Hand des Mannes niederrollten, der es so treu