Full text: Lesebuch für Fortbildungsschulen auf dem Lande und in kleineren Städten

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gewachsene, das einjährige Holz herausschauen läßt und dadurch die 
Stöcke zwingt, neue Wurzeln in die Erde zu schlagen. 
Sind diese Arbeiten beendet, was gewöhnlich anfangs Dezember 
der Fall zu sein pflegt, so tritt die Winterruhe ein. Sie ist aber 
nur von kurzer Dauer für den Winzer; denn schon im Februar werden 
die niedergelegten Stöcke wieder aufgezogen und, sobald sie abge— 
trocknet sind, verschnitten, was in der Regel im März beendet ist. 
Durch den Schnitt der Reben werden die Stöcke alles alten Holzes, 
das abgetragen hat, beraubt; man läßt an ihnen nur das junge 
Holz stehen, das im vorhergehenden Jahre gewachsen ist und so— 
mit in diesem Jahre neue Trauben und neue Triebe für das nächst— 
folgende Jahr hervorbringt. Dem Schneiden folgt dann im April 
als weitere wichtige Weinbergsarbeit die sogenannte Räume, d. h. das 
Abschneiden der direkt unter der Erdoberfläche stehenden Tauwurzeln 
und das Setzen der Weinpfähle. Ersteres hat den Zweck, den Wein— 
stock zu zwingen, mit den tieferliegenden Wurzeln seine Nahrung aus 
den tieferen Bodenschichten aufzunehmen, und letzteres, den wachsen— 
den Weinstock anbinden zu können, damit er nicht ein Spiel des 
Windes wird. 
Im Mai, wenn das Unkraut überhandnimmt, wird dann der 
Weinberg mehrmals durchhackt, und kaum ist diese Arbeit vorüber, 
und kaum sind die Blüten oder „Gescheine“ an den Stöcken sichtbar 
geworden, so geht es an die Weinbreche, d. h. an die Entfernung 
aller Triebe, welche keine Weintrauben bringen und nicht als Frucht— 
reben für das kommende Jahr dienen sollen. Es ist diese Arbeit nicht 
nur sehr zeitraubend, sie muß auch mit Verständnis ausgeführt werden, 
da der nächstjährige Ernteertrag wesentlich von ihrer sachgemäßen 
Ausführung mit abhängt. Ist die Blüte der Gescheine vorüber, was 
in der Regel 8—14 Tage, bei naßkalter Witterung jedoch auch bis 
zu 6 Wochen dauert, so werden die Reben aufgebunden und an die 
Ofähle geheftet, hierauf erfolgt das zweitmalige Behacken der Berge. 
Schon vorher hat der sorgsame Winzer sich das Wegfangen des ein— 
bindigen Traubenwicklers, einer kleinen Motte, deren erste Raupen⸗ 
sippe die Gescheine zerstört und deren zweite sich in die läutern— 
den Beeren einbohrt, angelegen sein lassen. Dieses kleine Tier ver— 
mag sehr bedeutenden Schaden anzurichten, und durch sein Zerstörungs— 
werk werden nicht selten die Weinerträge auf die Hälfte und mehr 
herabgedrückt. Sind die Weinstöcke, begünstigt durch feuchtwarme 
Witterung, bis Ende August oder Anfang September soweit heran— 
gewachsen, daß ihre Enden über den Pfahl hinausreichen, die grünen 
Triebe anfangen sich zu bräunen, d. h. zu verholzen, und die Beeren 
zu läutern, d. h. weich und durchsichtig zu werden, so wird die Pflanze 
noch gegipfelt, d. i. alles überflüssigen Holzes beraubt, um dadurch 
eine schnellere Reife der Beeren und ein besseres Ausreifen des Holzes 
zu erzielen. Nachdem sodann die Berge noch ein drittes Mal gehackt 
worden sind, werden sie bis zur Traubenlese sich selbst überlaffen.
	        
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