Full text: Lesebuch für Fortbildungsschulen auf dem Lande und in kleineren Städten

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Habt Ihr Kinder?“ forschte ich weiter. 
„Ein Mädchen.“ 
„Erwachsen, sodaß es seine Mutter pflegen kann?“ 
„Das Ännchen ist just so viel Jahre alt, als seine Mutter krank 
liegt. Bei seiner Geburt fing's mit ihr an. — Was das Pflegen an— 
belangt,“ fuhr er fort und warf das fertige Eisen in den aufzischenden 
Wasserirog, „so ist das so ne Sache. Das Mädel ist von seiner Ge— 
burt an lahm. Es geht an Krücken.“ 
„Alle Wetter,“ entfuhr es mir, „da seid Ihr schön dran!“ 
„Hat mir schon mancher gesagt,“ bemerkte er ruhig, scharrte die 
Asche über das Feuer und fing an, sich die Hände zu waschen. Ich auf 
meinem Amboß schwieg, stützte das Kinn in die Hand und sah sehr ernst 
dem wortkargen Mann zu. 
Als er fertig war, nahm er den letzten Schluck aus seiner Kanne 
und langte sich von einem Nagel die Pfeife herunter. 
„Woher sind Sie eigentlich, wenn's erlaubt ist zu fragen?“ fing er 
an, indem er gemächlich die Pfeife stopfte. 
Ich nannte ihm meine süddeutsche Heimat, fügte aber hinzu, daß 
ich aus Berlin käme, und erzählte, welche längere Wanderung hinter 
mir lag. 
„Nun, da haben Sie ein schönes Stück deutscher Erde gesehen,“ 
meinte er. „Ich war auch so, als ich unverheiratet war. Immer fort, 
mmer weiter. Mein Vater wollte mich studieren lassen, na, da brannte 
ich durch. Aufs Schiff wollte ich auch, da war's mir aber zu streng. 
Dann kam der Krieg mit Frankreich, den hab ich mitgemacht. Hernach nahm 
ich meines Vaters Handwerk, die Schmiederei, wieder auf, und trieb mich 
noch so ein paar Jahre als Geselle herum. Und immer lustig, immer 
voll Lieder, als echter Gebirgler, natürlich. Und wenn's eine Rauferei 
gab, war ich auch nicht der letzte. Freilich, auch manches nützliche Buch habe 
ich nebenbei gelesen. Da hab ich denn das Mädel da kennen gelernt, 
meine Frau, und mit dem Zigeunern war's aus. Ich sage nur eins: 
wenn einer eine so glückliche Zeit erlebt hat, wie wir zwei in unserm 
Brautjahr und im ersten Jahr unsrer Ehe, dann soll er mit seinem 
Herrgott zufrieden sein. Und wenn's ihm nachher noch so hart ergeht. 
Im zweiten Jahr kam das Ännchen zur Welt, und seitdem liegt meine 
Frau siech, und das Mädel ist lahm — fünfzehn Jahre.“ 
Ich muß gestehn: mich auf meinem Amboß überkam diesem schlichten, 
ernsten Mann gegenüber, dem das Geschick so schwer mitgespielt hatte, 
ein Gefühl niederträchtigster Beschämung. Wir von heute, angekränkelt 
sind wir, so groß wir sind, von eingebildeten Leiden, überflüssigen Zwei— 
feln und ungerechten Verbitterungen. Hier stand ein Mann, der, weiß 
Gott, nicht auf Rosen gebettet war. Äber auf seinem Gesichte entdeckte 
ich nicht eine Falte, die Verbitterung verriet. 
AÄls wir langsam, unter ruhigen Gesprächen über dies und das 
durch die warme Mainacht dem Dörschen zuschritten, veranlaßte ich den 
Schmied, noch einmal auf sein Geschick zurückzukommen.
	        
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