Full text: Lesebuch für Fortbildungsschulen auf dem Lande und in kleineren Städten

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22. Trinker-Nusreden. 
Viel Elend und schwere Sorgen sind in die Familien in Stadt 
und Land durch das Trinken gebracht worden. In keiner Gemeinde 
fehlt es an zahlreichen Beispielen hierfüur. Und trotzdem es mancher 
weiß und vielleicht an sich selbst erfahren hat, welche Gefahren dem 
Trinker und seiner ganzen Familie drohen, hilft er sich mit allerhand 
Ausreden, um dem Genusse von Wein, Bier und Branntwein mit Ge— 
wissensruhe frönen zu können. 
„Ich habe Durst,“ sagt der eine. Und doch hat er schon oft er— 
lebt, wie er nach einem fidelen Abend, an dem er mit so und so viel 
Glas den Riesendurst bezwungen, nachts vor Durst erwacht und gierig 
nach der Wasserflasche greift. Der Alkohol, den er im Wein, Bier und 
Schnaps zu sich genommen, hat im Körper den Wassergehalt vermindert 
und sein Flüssigkeitsbedürfnis gesteigert. Er will sich mit Wein und 
Bier den Durst stillen, obwohl er längst erfahren hat, daß Alkohol 
Durst erzeugt. Wer bürde an einem Abend 5— 10 Seidel Wasser 
inken? Es ist unmöglich; denn der Durst wäre schon nach dem ersten 
Seidel gestillt. 
„Ich friere, mir ist zu kalt — ich muß mich durch ein Gläschen 
wärmen,“ sagt ein anderer, und doch belehrt ihn das Thermometer, daß 
bei Genuß von Wein, Bier und Branntwein die Blutwärme sinkt. Der 
Alkohol lähmt gewisse Partien im Gehirn, so daß die Blutgefäße der 
Haut sich erweitern Und eine Blutflut zur Haut entsteht: dies zeigt das 
te Gesicht und das scheinbare Gefühl der Erwärmung. Diese Täuschung 
ist die Ursache des Erfrierens all jener Unglücklichen, die durch ein 
Schnäpschen sich Wärme zu schaffen versuchten; denn die Blutflut in 
der Körperoberfläche gibt leicht ihre Wärme an die kalte Umgebung ab, 
his das Blut immer mehr und mehr sich abkühlt. Sonderegger sagt in 
seinem trefflichen Buche „Vorposten der Gesundheitspflege“: „Ich wunderte 
mich über die Fuhrleute in Kasan, welche zu Hunderten den Fracht⸗ 
verkehr besorgen, wie sie bei einer Kälte von 30—350 0. Tag und 
Nacht auf den Beinen sein können und, um von Station zu Station zu 
gelangen, stets mehrere Stunden unterwegs sein müssen. Meistens sind 
diese Fuhrleute Tataren, die mit höchst seltenen Ausnahmen genau nach 
dem Koran leben und keine geistigen Getränke genießen. Diesem Um— 
stande ist auch meines Erachtens ihre Ausdauer, ihre körperliche Frische 
Uund ihre große Willenskrast zuzuschreiben.“ Es erfroren bekanntlich 
arl XI. auf einem kurzen Zuge nach Gladitsch 3000 bis 4000 Mann, 
die sich mit Branntwein gegen die Kälte gestärkt hatten. Seit langem 
ist den russischen Soldaten bei Wintermärschen der Wutki strengstens 
untersagt. Die Nordpolfahrer Weyprecht, Roß, Nansen und andere be— 
kunden übereinstimmend, daß man nur bei Meidung alles Alkohols gegen 
die große Kälte gewappnet sei. 
„Aber mir ist so schrecklich heiß,“ erwidert 
trinke gegen die Hitze“ Der Sprecher scheint 
Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen.
	        
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