76. Die Gehilfen des Todes. 
Hinter der Werkstatt des Meisters Ehrlich stand ein großer 
Holunderstrauch mit vielen knorrigen Stämmen und schlanken 
Zweigen. Hier spielten und sangen sonst die Kinder der Nachbar¬ 
schaft; aber heute war es ganz still unter dem schattigen Laub¬ 
flache. Nur Gottfried, der einzige Sohn des Meisters Ehrlich, hatte 
sein Lieblingsplätzchen aufgesucht. Er schaute wehmütig der unter¬ 
gehenden Sonne nach und dachte dabei an den lieben Bruder und 
an den Spielgenossen, die so früh in die kühle Erde gesenkt wurden. 
Ha stand plötzlich ein unbekannter Jüngling vor ihm. Der zeigte 
einer verlöschenden Fackel auf die Erde, und sein langes, 
schwarzes Haar umflatterte ein großer Schmetterling. „Ich bin der 
Tod," sagte der Fremde mit ernster Stimme; „du hast die goldene 
Abendsonne zum letzten Male gesehen, und die Blüten des Holunder¬ 
strauches duften nicht mehr für dich. Folge mir, wie auch dein 
Hruder und dein Freund mir gefolgt sind!“ „0, habe Erbarmen 
ft^t meiner Jugend!“ flehte Gottfried; „sieh meine flinken Beine, 
deine rüstigen Hände, meine hellen Augen und roten Wangen! 
Henke auch an meine armen Eltern, denen du den besten Sohn ge¬ 
raubt hast! Sieh, wie ihr Haar vor Schmerz gebleicht und ihre 
Stirne mit Falten durchzogen ist! Willst du zum zweiten Male 
Iraner und Tränen in unser Haus bringen?“ „Deine guten Eltern 
flauern mich,“ versetzte der Tod, indem er einen Schritt zurücktrat; 
»um ihretwillen sollst du noch einmal verschont bleiben. Doch wenn 
flu mich wiederum durch meine Gehilfen einlädst, werde ich dich 
ohne Erbarmen mitnehmen.“ „Deine Gehilfen,“ sprach jetzt Gott- 
hied erleichtert, „kenne ich nicht; sonst würde ich sie fliehen, so¬ 
lange mir das Leben lieb ist.“ „Ja, versetzte der Jüngling unter 
schadenfrohem Gelächter, „die Menschenkinder fürchten den Tod, 
über sie lieben seine Gehilfen; darum mache ich täglich reiche 
Beute. Doch du bist noch jung und unerfahren und sollst einst 
die Stütze deiner Eltern werden; deshalb will ich dich mit meinen 
Gehilfen bekannt machen.“ 
Gottfried hatte die Rechte um den dicksten Stamm des Holunder¬ 
strauches gelegt und seinen Blick mit Neugier und Angst auf den 
seltsamen Gast gerichtet. Am westlichen Himmel glänzte das 
Abendrot in purpurnem Schimmer, und in der dichtbelaubten Garten¬ 
hecke sang ein Vöglein sein letztes Lied. „Dein Bruder, um den 
du eben trauerst,“ begann der Tod, „wagte sich auf die dünne Eis¬ 
decke des tiefen Weihers; er brach ein und wurde meine Beute, 
während du laut schreiend am Ufer standest. Dein bester Spiel¬ 
genosse, dessen frischer Grabhügel noch feucht ist von deinen Tränen, 
erkletterte die höchsten Bäume; er tat einen Fehlgriff; der morsche
	        
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