Full text: Deutsches Lesebuch für die weibliche Jugend

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welche zunächst zwar in mehr oder weniger innigem politischem Zu⸗ 
sammenhang mit dem Mutterlande blieben, später jedoch in der Regel 
zu selbständigen Gemeinwesen herauswuchsen. Oder es kam darauf an 
für den Haushalt der Nation neue Erwerbsquellen zu eröffnen — die 
führte zu Handelskolonieen und zur Besitzergreifung von Ländern als 
Absatzgebiete für die heimische Industrie, oder schließlich zur Eroberun 
von Territorien, in denen umgekehrt für den Verbrauch des Muttet— 
landes und den Weltmarkt srembartige Produkte geschaffen werden 
konnten, d. h. zu Plantagen-Kolonieen. 
Die Fürsorge für die Angehörigen der eigenen Rasse, denen die 
Heimat eine Existenz nicht mehr zu bieten vermag, ist zu allen Zeiten 
von den energischeren und kulturtragenden Völkern als eine nationalt 
Pflicht anerkannt worden. Besonders dadurch stempeln sie sich als di 
weltgeschichtlichen Nationen ab. Indem sie, in der Regel durch Ein 
setzen der politischen Machtmittel des Staates dem Auswandererstrom 
neue Stätten in der Fremde sichern, bewirken sie die Ausbreitung der 
eigenen Art auf der Erde und tragen ihre Kultur und Sitte in die 
Ferne. 
Deutschland ist von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mehr in die No⸗ 
wendigkeit versetzt worden, einen immer breiter werdenden Auswanderen 
strom in fremde Sprach⸗ und Staatsgebiete abzuschieben. Das hatt 
zwei Nachteile. Einerseits ging der Ausbreitung unserer Art auf der 
Erde alljährlich ein mächtiger, lebendiger Blutstrahl verloren, welchel 
von fremden Völkern aufgesogen und verarbeitet wurde. Besonder⸗ 
zum Aufbau des englischen Kolonialgebietes mußte die deutsche Voll 
kraft unausgesetzt beisteuern. In welchem Umfang das geschehen is 
wird aus der Thatsache ersichtlich, daß es um die Mitte des vorigen 
Jahrhunderts etwa neun Millionen englisch redender Menschen auf der 
Erde gab, während heute 110120 Millionen Engländer etwa 6bb 
bis 70 Millionen Deutschen gegenüberstehen. 
Nun ist die Ausbreitung des eigenen Sprachgebietes nicht nu 
von ideeller Bedeutung für ein Volk und für die Weltkultur. Es is 
wiederholt darauf hingewiesen, welche unmittelbaren praktischen Vorteil 
sich für die Handelspolitik eines Landes daraus ergeben. Denn nich 
nur in Kunst und Litteratur bleibt im wesentlichen derselbe Geschmad 
unter den Sprachangehörigen in den verschiedenen Ländern, sonder 
auch in allen möglichen anderen Bedürfnissen, und der Kolonist wird 
für den Ankauf seiner Bedarfsartikel, soweit er sie nicht selbst hervon 
bringt, unter sonst gleichen Bedingungen immer das gleichsprachig 
Mutterland bevorzugen. 
Da Deutschland es versäumt hat, für den Überschuß seiner By 
völkerung eigene Landgebiete zu erwerben, ist es seit Jahrhundertel 
wungen gewesen, die Fürsorge für denselben Fremden gewifsermaßel
	        
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