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ins Gesicht werfen: „Er hätte lieber Schuhflicker werden sollen!“ Durch
übermäßige Anstrengung beim Stich seiner Kupferplatten erblindet,
schreibt er noch aus der Finsternis seine herrliche Motette ‚Wenn wi
in höchsten Nöten sein“, wird krank, kurz vor seinem Tode kehrt das
Augenlicht wieder, und schnell darauf macht ein Schlagfluß seinem
Leben ein Ende, am 28. Juli 1750. Seine Familie hinterläßt er in
Not; sein Grab findet er unter den vielen Ungezählten und Unbekannten
auf dem St. Johanniskirchhof in Leipzig.
Bachs Leben fließt stille wie das eines Patriarchen dahin, es
ist selbst eine Passion, in welche die Freudenstrahlen seines häus—
lichen Lebens und seiner Kunst fallen. Ein Diener Gottes, ein Diener
der Menschen, ohne Menschendiener zu sein, der großen und einsichtigen
und gelinden Herrn, und auch der wunderlichen, meidet er die Großen,
ohne sie zu fliehen, trägt sein Kreuz, ohne zu murren. Ihn muß man
sehen auf seinem Kantorsitz der Thomaskirche, die Register durcheinander⸗
ziehend, als ob alle Töne in Geister sich wandelten, um ihn her seine
Thomaner mit den metallenen Stimmen und unten lauschend die
schweigende Gemeinde; oder zu Hause am Klavier, um ihn her seine
musizierende Frau und seine zehn Söhne mit Stolz und Ehrerbietung
auf den Vater blickend.
So verschieden wie der Lebensgang von Händel und Bach, so ven
schieden ist auch der Charakter ihrer Schöpfungen. Händels Name ist
unsterblich geworden durch seine großen Oratorien, unter denen wil
nur an „Esther“, „Israel in Ägypten“, „Messias“, „Samson“, „Judas
Makkabäus“, „Jephtha“ erinnern. Bach ist der Komponist unvergäng⸗
licher Kirchenmusiken, Fugen, Cantaten, Choräle und vor allem del
Passionsmusik.
Was ist es, das uns aus den Werken Händels so ergreifend ent
gegentönt? Ist's nicht der Zug, der gewaltige Drang und Schrei nach
Freiheit, Errettung und Erlösung, nach Licht und Recht? „Gieb Fren
heit oder Tod!“ Dieser Ton aus Judas Makkabäus ist der Grundton
Händelscher Oratorien, und er wird wiederklingen, so lange es noch
Menschen giebt, denen die Freiheit über dem Leben, und das Dürsten
nach dem lebendigen Gotte über den Gütern steht, die das Leben vel
gänglich zieren. Wie in den meisten seiner Oratorien der Ruf nach
Freiheit einen religiösen Hintergrund hatte, so erhebt sich im „Messias
diese Idee zu dem Ruf nach Errettung und Erlösung im tieferen Sinne
Es ist der Sang vom Welterretter und Weltüberwinder, vom Licht der
Heiden, vom Trost Israels, vom Schlackenreiniger und Läuterer, vom
Lamm Gottes, vom Friedefürsten, vom Hirten und Todesüberwindel,
vom Auferwecker und Weltwiederbringer, der die Todesfesseln zerbricht,
Licht, Leben und Freiheit bringt. Hier sind die tiefsten Saiten des
Menschenherzens angeschlagen, hier gipfelt alle Sehnsucht des Menschen⸗