Full text: Deutsches Lesebuch für die weibliche Jugend

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85. In Harmesnüchten. 
Die Rechte streckt' ich schmerzlich oft 
In Harmesnächten 
Und fühlt' gedrückt sie unverhofft 
Von einer Rechten — 
Was Gott ist, wird in Ewigkeit 
Kein Mensch ergründen, 
Doch will er treu sich allezeit 
Mit uns verbünden. 
Conrad Ferdinand Meyer. 
86. Zuslucht. 
1. Der du mit Tau und Sonnenschein ernährst die Lilien auf dem gFeld 
Der du die jungen Raben nicht vergissest unterm Himmelszelt, 
Der du zu Wasserbächen führst den Hirsch, der durstig auf den Tod, 
O gieb, du Allbarmherziger, auch unsrer Zeit, was ihr so not! 
2. Um Frieden, Frieden flehen wir, nicht jenen, der des Sturms entbehr 
Der sicher in der Scheide Haft gefesselt hält das scharfe Schwert, 
Nein, um den Frieden in der Brusi, dem's mitten in der Schlacht nicht graub 
Weil auf dem Felsen deines Worts mit festen Pfeilern er gebaut. 
3. Gieb uns die Hoffnung, Herr, zu dir, die nie zu Schanden werden lßl 
Gieb uns die Liebe, die im Tod und überm Tode noch hält fest, 
Gieb uns den Glauben löwenstark, den Glauben, der die Welt bezwing 
Und auf dem Scheiterhaufen noch dir helle Jubelpsalmen singt. 
4. Wohl sind wir sündig, arm und schwach und nimmer solcher Gabel 
wert; 
Doch du erbarmst dich, wo ein Herz voll Angst und Sehnsucht dein begehrt 
So hör' uns denn, gleich Israel, da er dich ringend hielt umfaßt: 
„Ich laß dich nicht, ich laß dich nicht, Hert, bis du mich gesegnet hast! 
5. Nein, du verstößest nimmermehr den, der da flüchtet in dein gau 
Zerbrichst nicht das geknickte Rohr und löschst den matten Docht nicht aus 
Die Arme thust du auf und sprichst auch zu den Herzen unsrer Zeit: 
„Kommt her zu mir, die ihr im Geist mühselig und beladen seid.“ 
6. So kommt denn all', in deren Ohr die hohe Freudenbotschaft klauß 
Die einst den Hirten auf dem Feld der Chor der Engelstimmen sang; 
omm! — Suer griede ist in hm und Achl, das keinem Duntel weich⸗ 
Das Leben ist er, und sein Joch ist sanft, und seine Last ist leicht. 
Emanuel Geibel. 
87. Bum Gedüchtnisse Michel Angelos. 
2. Unvermählt, im Abendlichte 
Taucht empor dein Wunderbau, 
Wie ein rufendes Gesichte 
Über fahler Trümmer Schichte 
Winkst du aus dem Ätherblau. 
1. Sei gegrüßt, du Haupt der Erde, 
Kuppel von Sankt Peters Dom, 
Pilgern nimmst du die Beschwerde, 
Wenn du auf verlass'ner Fährte 
Qündest an das ew'ge Rom.
	        
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