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werdenden Staat zu gewinnen gewußt; sie haben aus dem Elende des
Kriegs, der ein Menschenalter hindurch unsern Boden zerstampfte, mit
starkem Arm das Vaterland gehoben. In treuer Gemeinschaft mit
seinem Fürsten hat unser Volk das schwerste Leid getragen, mit ihnen
vereint, Freiheit und Vaterland wiedergewonnen, und dann ist nicht
infolge ehrgeiziger Gelüste, sondern auf Grund einer von Stufe
zu Stufe folgerecht sich vollziehenden Entwickelung der Volksgeschichte
unter dem Kaiserscepter der Hohenzollern das lange zerrissene Vater—
land vereinigt.
Die beste Bürgschaft der Zukunft liegt in dieser Entwickelung
Denn jeder Nachdenkende erkennt, daß sie nicht auf zufälligen Umständen
beruht und deshalb auch von ihnen nicht abhängig ist, wie andere mensch⸗
liche Erfolge, so glänzend sie erscheinen mögen. Darum kann und soll
auch der Geringste im Staat mitarbeiten, die sittlichen Grundfesten zu
hüten, auf denen die Größe unseres Vaterlandes ruht, und jeder einzelnẽ
fühlt sich in persönlicher Dankbarkeit dem Hause verbunden, dessen Fürsten
in allen staatbildenden und staaterhaltenden Tugenden dem Volke vor—
angegangen sind.
Zu solchen Ahnen blickt auch der jugendliche Fürst hinauf, um
den wir heute zum ersten Male festlich versammelt sind. Unter den
schmerzlichsten Erfahrungen, die ein Sohn durchmachen kann, hat er
unerwartet früh das schwere Amt auf seine Schulter nehmen müssen;
aber er ist glücklich darin, daß er nicht neue Wege zu suchen, nicht neue
Ziele aufzustellen hat. Seiner Vorfahren treuer Nachfolger kann er des
göttlichen Segens und der Liebe des Volks sicher sein.
Dort, wo unser in Gott ruhender Kaiser Wilhelm die Standarten
und Fahnen seiner Regimenter aufbewahrte — es war ein heiliger
Raum für ihn, wo er in ernster Sammlung weilte, der Tapfern ge⸗
denkend, die für das Vaterland geblutet, und im Geist mit seinen
Ahnen vereint; dort hatte er die Büste des Kurfürsten aufgestelli, der
zuerst in großem Stil Herrscher war, dort den alten Fritz mit seinem
Krückstock und das Reiterbild Friedrich Wilhelms III. von dessen väter⸗
lichem Segen er sich allewege begleitet fühlie, — in diesen ehrwürdigen
Raum tritt nun heute um diese Stunde der Enkel ein, um die wohl⸗
bewahrten Banner aufzuheben und als neuer Kriegsherr sie unter seine
Obhut, unter sein königliches Obdach zu übernehmen, mit dem stillen
Gelöbnis, daß, wenn sie einmal wieder im Felde entrollt werden müssen,
sie mit gleichen Ehren heimkehren sollen.
Tief erschüttert empfinden wir den Wandel der Geschlechter; teure
Räume sind verödet und die Fenster verhängt, an denen unser Blick
zu haften gewohnt war; aber die Liebe im Herzen überdauert alle
menschlichen Dinge, und dem Gerechten folgen seine Werke nach.
Die treue Verehrung Kaiser Wilhelms L. dem wir alle das Beste