Full text: Deutsches Lesebuch für die weibliche Jugend

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rühmten Staatsmann und Minister, einen alle Wechselfälle des Lebens 
überdauernden Freundschaftsbund. 
Nach beendeten Studien entschied sich Wilberforce für die parla— 
mentarische Laufbahn. Um die Zeit, als er das gesetzliche Alter eines 
englischen Volksvertreters, das einundzwanzigste Jahr, erreicht hatte, 
1780, fanden die allgemeinen Wahlen statt. Er bewarb sich in seinel 
Vaterstadt Hull und wurde zum Parlamentsmitglied erwählt. 
Ein bis zu seinem Lebensende regelmäßig von ihm geführtes Tage— 
buch gestattet uns einen Einblick in sein innerstes Leben, seine Kümpfe, 
seine klar erfaßten Ziele. Er schreibt: „Der allmächtige Gott hat mir 
zwei Aufgaben gestellt, die Unterdrückung des Sklavenhandels und die 
Verbesserung der Sitten.“ 
Unerläßlich war es für ihn, völlig vertraut mit allen Einzelheiten 
der Frage, nur mit Thatsachen, sowie mit an Ort und Stelle erhobenen 
Beweisen ausgerüstet, den Kampfplatz zu betreten. Wilberforce gab 
sich den Vorarbeiten mit aufreibendem Fleiße hin. Acht bis neun 
Stunden alltäglich arbeitete er mit nur geringer Unterbrechung. Da— 
neben wurden Zeugen abgehört, welche die Verhältnisse in Westindien 
aus eigener Anschauung kannten, sodann die vorzubereitenden Schritte 
mit Gleichgesinnten durchgesprochen und das zunächst Notwendige ver— 
abredet. 
Jetzt waren Wilberforce's Arbeiten so weit gediehen, daß er im 
Unterhause ankündigen konnte, er werde am 2. Februar 1788 einen 
Antrag auf Abschaffung des Sklavenhandels einbringen. Seine physische 
Kraft brach jedoch infolge unausgesetzter Anstrengungen zusammen. Er 
erkrankte lebensgefährlich, und die Ärzte erklärten seinen Zustand für 
höchst bedenklich Voll Sorge über das Schicksal seines Antrags ließ 
der Kranke Pitt zu sich bitten. Der alte Freund zögerte nicht und gab 
ihm das Versprechen, die Angelegenheit zur seinigen machen zu wollen. 
Er hielt auch Wort, indem er dem Parlament einen Antrag vor— 
legte, wonach im nächsten Jahre die Verhältnisse inbezug auf den 
Sklavenhandel in ernste Erwägung gezogen werden sollten. Auch ging 
in derselben Sitzung in beiden Häusern ein Gesetz durch, welches die 
Anzahl der Sklaven auf jedem Schiffe beschränkte und noch in einigen 
anderen Punkten die Linderung ihrer Leiden bezweckte. 
Wider alles Erwarten erholte sich der von den Ärzten bereits 
Aufgegebene so vollständig, daß er nach Verlauf einiger Monate seine 
Thätigkeit wieder beginnen und am 12. Mai 1789 im Parlament seinen 
Antrag wegen Abschaffung des Sklavenhandels begründen konnte. In 
seiner viertehalbstündigen Rede hob er zuerst die Ungerechtigkeit und 
Grausamkeit hervor, deren sich die englische Nation durch Zulassung 
des Sklavenhandels schuldig mache, dann wies er in einer Reihenfolge 
schlagender Thatsachen nach, wie verderblich das Sklavenwesen auf die
	        
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