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vorgenommen, nur zwei Stunden zu bleiben, weil sie vor der Abreise
noch mancherlei zu ordnen hatte. Sie blieb indes länger als vier
Sunden dort und äußerte sich voll Begeisterung über die neue Er⸗
ziehungsmethode, die sie nun in der Praxis kennen gelernt hatte.
Der Besuch hatte die weittragendsten Folgen. Die Königin, von der
Wahrheit der Sache erfüllt, riß ihre Umgebung mit sich fort. So
erfolgte der Durchbruch der neuen Lehre. Nicolovius und
der Freiherr von Altenstein sorgten nun für die fernere Verbreitung
der Ideen Pestalozzis durch Männer, welche später die Stützen der
deutschen Pädagogik und die Leuchten einer besseren Zeit gewor—
den sind.
Und Pestalozzi selbst? Er vor allen erkannte schon die hohe
Bedeutung der Königin Luise für das Volksschulwesen. Er fühlte
sich, wie er sagte, in dem Gedanken begeistert, daß seinem Werke
auf das Anklopfen der Königin das Tor der Zukunft
durch den König aufgetan worden.
„Mein Vater im Himmel,“ schrieb er an Nicolovius, „der mein
Werk rettet, hat es jetzt auch dem Herzen Deines Königs nahe ge—
bracht. Ich hoffte mein Leben hindurch auf einen König, dem die
Kraft des Menschenherzens gegeben wäre, aus welcher das Heil der
Menschen kommi. Ich fand ihn nicht. Seine Zeit war noch nicht
da; jetzt ist sie gekommen. Er ist da, er ist gefunden. Du hast ihn
gefunden, er hat Dich gefunden, und Du machst jetzt, daß auch ich
ihn finde.“
Die Königin Luise aber war — nach dem Zeugnis eines da⸗—
maligen Zeitgenossen — „das belebende Prinzip dieser Idee, von
welcher seitdem alle Bestrebungen auf dem Gebiete der wissenschaft—
lichen und Volksbildung getragen worden sind
Beim Tode Friedrich Wilhelms III. standen 6 Universitüten,
120 Gymnasien, eine noch größere Anzahl Real⸗ und höhere Bür—
gerschulen und gegen 30000 Volksschulen in voller Wirksamkeit.
Jeder sechste Mensch in Preußen war ein Schulkind.
Ebenso warm war das Interesse der seltenen Frau für weib—
liche Bildung. Von einer bloßen Mode⸗ und Scheinbildung der
Fraͤuen hielt die Königin Luise blutwenig. Ihrem klaren und tiefen
Geiste entging es nicht, wie ihre Freundin Frau von Berg sagt, daß
„das Wissen der Frauen wohlgeordnet und nur auf einen Zweck hin⸗
zielend, der Veredlung und Verschönerung ihres Charakters und
ihren Verhältnissen als Gattin, Mutter und Staatsbürgerin allein
dienen müsse“.
Zwar war es ihr nicht mehr vergönnt, ihre Absichten und Pläne
für weibliche Bildung und Erziehung unmittelbar durchzuführen.
Ihre Wünsche aber als ein heiliges Vermächtnis ehrend, vollzog der