VI. Gruppe.
132. Annette von Doste Hülshoff.
Ein Herz, so stark, das Schwerste zu verwinden,
So warm, um leicht in Flammen aufzugehn,
So tief, um ahnend Tiefstes zu verstehn,
So weich, um nur in Starrheit Halt zu finden;
Ein Geist, geschaffen, Geister zu ergründen,
Stolz, um Gemeines groß zu übersehn,
Demütig, wenn ein Lebenswerk geschehn,
Und seine Spur verweht scheint von den Winden;
Einsam erwachsen auf der Heimatflur,
Einsam trotz innig ernstem Liebessehnen,
Im Stillen sammelnd ewigen Gewinn;
Allein an Gott dich klammernd und Natur,
Zu Perlen reiften dir all deine Tränen:
So wardst du Deutschlands größte Dichterin.
„Deutschlands größte Dichterin!“ So wird Annette von Droste
von einem Dichter wie Paul Heyse genannt, und Betti Paoly spricht
in einem ihrer schönsten Gedichte von Annettens „königlichem Geiste“
und fährt dann fort:
„O tiefe Sehnsucht, die ich oft empfand,
Nur einmal dir ins klare Aug' zu blicken,
Mit liebevoller Ehrfurcht deine Hand
An meine Lippen, an mein Herz zu drücken.“
Johanna Spyri, Marie von Ebner-Eschenbach haben Worte der
Begeisterung für Annettens Dichtungen; sie alle beugen sich gern
und neidlos vor ihrer Überlegenheit, ihrer Genialität. Das Leben
dieser genialen Dichterin aber verfloß still und einsam, fernab von
der großen Welt, reich an innerlichen Vorgängen, an Kämpfen und
Siegen, an Freuden und Schmerzen, wie sie nur das zarteste Frauen—
gemüt und der feurigste Dichtergeist so tief und stark empfinden kann
— doch arm an äußeren Ereignissen.
Elisabeth Annette von Droste-Hülshoff entstammte
einer alten katholischen Adelsfamilie des Münsterlandes, deren Name
schon seit Jahrhunderten in ihrer westfälischen Heimat einen guten