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habe es aus Rücksicht auf deine Gefühle nicht tun wollen. Du solltest
mich dafür loben.“
„Vergib mir, Lieber,“ entgegnete Mrs. Shelby, die sich jetzt
wieder gesammelt hatte. „Ich bin übereilt gewesen, ich war über—
rascht und vollkommen unvorbereitet, aber du wirst mir doch ge—
wiß erlauben, mich für diese armen Geschöpfe zu verwenden. Tom
ist ein edelsinniger, treuer Mensch, wenn er auch schwarz ist. Ich
glaube, daß er, wenn es nötig wäre, sein Leben für dich hingeben
würde.“
„Ich weiß es, ich glaube es wohl, aber was nützt das alles?
Ich kann es nicht ändern.“
„Warum nicht ein Geldopfer bringen? Ich bin bereit, meinen
Teil der Unbequemlichkeiten zu tragen. O, ich habe es versucht, auf
das getreueste versucht, wie es einem christlichen Weibe geziemt, —
meine Pflicht gegen diese armen, einfältigen, abhängigen Geschöpfe
zu erfüllen. Ich habe für sie gesorgt, sie unterrichtet, über ihnen
gewacht und seit Jahren alle ihre kleinen Sorgen und Freuden ge—
kannt, und wie kann ich unter ihnen je wieder meine Augen auf—
schlagen, wenn wir um eines kleinen, erbärmlichen Gewinnes willen
ein treues, vortreffliches, vertrauensvolles Geschöpf wie den armen
Tom verkaufen und ihm in einem Augenblicke alles entreißen, was
wir selbst ihn lieben und hochschätzen gelehrt haben? Ich habe diese
Leute die Pflichten der Familie, der Eltern und Kinder und Gatten
und Ehefrauen, gelehrt, und wie kann ich dieses offene Zugeständnis
ertragen, daß wir, wenn es sich um Geldgewinn handelt, auf kein
Band, keine Pflicht, kein Verhältnis, wie heilig es auch sein mag,
Rücksicht nehmen? Ich habe mit Eliza über ihren Knaben geredel,
ihr ihre Pflichten auseinandergesetzt, als eine christliche Mutter über
ihm zu wachen, für ihn zu beten und ihn als Christen zu erziehen,
und was kann ich jetzt sagen, wenn du ihn hinwegreißest und ihn
mit Leib und Seele an einen solchen Menschen verkaufen willst,
nur um ein wenig Geld zu gewinnen? Ich habe ihr gesagt, daß
eine Seele mehr wert ist als alles Gold auf Erden, und wie soll sie
mir glauben, wenn sie sieht, wie wir hingehen und ihr Kind ver—
kaufen — es vielleicht zu sicherem Verderben Leibes und der Seele
verkaufen?“
„Es tut mir leid, daß du so fühlst, Emilie, es tut mir wirklich
leid,“ sagte Mr. Shelby, „und ich achte deine Gefühle, wenn ich auch
keinen Anspruch darauf mache, sie in ihrem vollen Umfange zu teilen
Aber ich sage dir jetzt feierlich, daß es nichts nützt — ich kann mir
selbst nicht helfen; ich habe es dir nicht sagen wollen, Emilie, aber
kurz und gut, ich habe keine Wahl zwischen dem Verkauf dieser beiden
und dem Verkauf des ganzen Gutes. Entweder müssen sie gehen
Henschke, Deutsches Lesebuch. 5. Aufl.