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21. (14.) Treue geht über Klugheit.
Wichts konnte er recht machen, jener dümmste von allen Rekruten in
einer westfülischen Kavallerieschwadron, ob er gleich ein Herz hatte, fest
wie Eichenholz und treu wie Gold. Sein Herz sah man nicht, aber seine
Dummheit guckte überall hervor. Darum schalt auch sein Leutnant — er
war der jüngste und ein kleiner Hitzkopf — ein über das andere Mal:
Nichts kann er recht machen! Aber verachte mir niemand hinfort die
Dummen, die das Herz auf dem rechten Flecke haben; denn Treue geht
über Klugheit.
In der Schlacht bei Gravelotte wurde jene westfälische Schwadron
samt Leutnant und Rekrut gegen einen Haufen französischen Fußvolks
kommandiert. Mit Hurra ging's auf das nächste Carrs los. Es konnte
nicht widerstehen; es wurde niedergeritten. Wohl rissen Granaten und
Chassepots Lücke auf Lücke in die Reihen der tapferen Westfalen; wohl
verdreifachte sich das Feuer der im Hintergrunde aufgepflanzten Batterien;
nichts kounte die anstürmenden Reiter aufhalten; mit Todesverachtung
stürzten sie sich in die Bajonette des zweiten Carrss. Auch dieses mußte
weichen. Immer neue feindliche Infanteriemassen tauchten auf, furchtbarer
wurde das Feuer der französischen Kanonen, unheimlich folgte das Geknarre
der Mitrailleusen. Wenn nur ein Mann übrig bleiben sollte, mußten
die Reiter zurück. Ihr Weg ging an einem Gehölze vorbei. Aus ihm
stürzte über das zusammengeschmolzene Häuflein der Westfalen ein mächtiger
Trupp französischer Kürassiere, die das Feld rein kehrten, wie der Besen
die Tenne.
Der junge Leutnant war im Getümmel abseits geraten. Zwei
feindliche Reiter fielen über ihn her. Das Blut seiner Väter, die bei
Leipzig und Waterloo gestritten halten, floß in dem preußischen Knaben,
der lieber sterben, als sich ergeben wollte. Er deckte sich gegen die wuch⸗
tigen Säbelhiebe mit seinem flinken Arme, und sein Roß lenkte er zwischen
den Kürassierpferden der Feinde hindurch, wie ein Seekadett das leichte
Boot zwischen schweren Kriegsschiffen Aber bald wurde sein Arm müde
und sein wackeres Auge unsicher und matt, und schon nahm er im Geiste
Abschied von seiner Mutter und seinem väterlichen Schlosse unter grünen
Bäumen, — siehe, da brauste ein Reiter heran, als gelte es, den Tod
einzuholen oder die Wolke am Himmel.
Der „Dumme“ hatte etliche hundert Schritte beiseits hinter einer
Mauer gehalten, bis die französischen Reiter zurückgegangen sein würden.
Nach einigen Minuten hätte er sicher zu den Seinigen zurückkehren können;
denn er hörte bereits das französische Rückzugssignal und die Trompeten
von Kameraden näherkommen. Als er aber seinen Leutnant in Todesnot
sah, gedachte er daran, was einem braven Soldaten geziemt. Darum faßte
er mit fester Hand seinen Säbel, setzte über den Graben, und ehe der eine
französische Reiter sich decken konnte, schlug ihm die starke Westfalenfaust
eine Wunde, die kein Arzt heilen kann, ünd als der andere gegen ihn
ausholte, zog er ihm eine Furche über die Stirn, daß der Mann klirrend
niederfiel und den weißen Kalkstein mit seinem Blute rötete— Dann setzte
sich der Held fest in den Sattel und den Leutnant, der unterdes sein
schäumendes Roß zum Stehen gebracht, mit strahlenden Augen ansehend,