—
223 —
— —
ruhig entweichen zu lassen und setzte der behördlichen Anordnung, diese
gesundheitschädlichen Stoffe wieder aufzufangen, den hartnäckigsten Wider—
stand entgegen. Erst nachdem dies doch eingerichtet werden mußte, sah
man den kolossalen Vorteil ein.
Für Farbstoffe bildete England so lange das Centrum, bis Hofmann,
der nicht allzulange drüben blieb, ihre wissenschaftliche Synthese durch—
geführt hatte. Alsbald hörte das dortige Übergewicht auf, da Deutsch—
lands chemische Industrie in beständiger Verbindung mit den Universitäten
blieb und dieser Vereinigung von Wissenschaftlichem und Geldmännischem
der Sieg unausbleiblich war. Es giebt nur wenige Professoren bei uns, die
nicht für Fabriken untersuchen, und da Gutachten Tausende einbringen, so ist
diese eigenartige Verbindung auch schon zuweilen getadelt worden; allein
man muß doch wohl die anderweitige Behauptung respektieren, daß unsere
Gelehrten von der Fabrikthätigkeit mehr lernen, als sie dorthin geben.
In England fehlt dies vollständig, und auch Chemiker haben die dortigen
Unternehmungen wenig angestellt, allerhöchstens zehn in einer Fabrik,
während die Badische Anilin- und Sodafabrik 120 Chemiker, darunter
60 rein wissenschaftlich Arbeitende hat, und die Höchster Farbwerke noch
immer über 80 Chemiker zählen.
So kann man sagen: Die deutsche chemische Industrie ist seit dreißig
Jahren die unternehmende, seit zwanzig die alleinherrschende geworden.
Hierzu gehört eben nicht, was einfache Praktiker so gerne thun: probieren,
sondern strenge, theoretische Arbeit. Was will man etwa mit einem
hübsch gefärbten chemischen Körper empirisch anstellen, der nicht waschecht,
nicht lichtecht, nicht walkecht, nicht seifenecht ist? Durch wissenschaftliche
Behandlung sind die chemischen Gruppen zu eruieren, deren Einführung
die unzweifelhafte Echtheit giebt. In unseren Fabriken sind sämtliche
Produkte unter fachmännischer Kontrolle, denn heute verlangt man in
erster Linie Reinheit, schon aus Gründen der Gesundheit und der reichs—
gesetzlichen Vorschriften. Jahrelang war Fuchsin, mit dem ja auch Ge—
nußmittel gefärbt wurden, nicht frei von Arsenik, lange suchte man ver—
gebens nach einem die Arsensäure ersetzenden Oxydationsmittel, und als
man es gefunden hatte, ist man doch so weit gekommen, auch mit Arsen
ein von diesem Gifte freies Fuchsin zu erzeugen.
Die so berühmt gewordenen Anilinfarben kamen 1857 in England