Full text: Deutsches Lesebuch für höhere Handels- und Realschulen

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von seiner Beobachtungsgabe, alsbald darauf aus, durch gewisse einfache 
Verfahren die erprobten Genüsse sich beliebig zu verschaffen. Man kam 
darauf, die Gärung und zwar eine bestimmte Art derselben, die 
Alkoholgärung, die unter gewissen Umständen von selbst eintritt, künst— 
lich hervorzurufen. Das Material sowohl, wie das demselben angepaßte 
Verfahren, finden wir je nach den natürlichen Produkten des Landes 
bei den verschiedenen Völkern äußerst mannigfaltig. Bis auf den 
heutigen Tag haben sich bei rohen Völkerschaften gewisse urwüchsige 
Prozeduren erhalten, welche zum Teil nach unseren Begriffen sehr 
wenig appetitlich sind, dort aber ihren Zweck vollständig erfüllen. So 
bereiten die Indianer von Peru ihre beliebte Chica, indem die ganze 
Familie sich um eine riesige Kürbisschale lagert, mit aller Anstrengung 
der Kinnladen den an der Sonne gedörrten Mais kaut und in di— 
Schale speit. Das Gekaute wird mit heißem Wasser übergossen, in 
irdenen Gefäßen kurze Zeit der alsbald eintretenden Gärung überlassen 
und dann dem Gaste als das Beste, was das Haus bietet, als „selbst— 
gekaute Chica“ vorgesetzt. Ganz ähnlich verfahren die Bewohner der 
Freundschaftsinseln mit der Wurzel der zu den pfefferartigen Gewächsen 
gehörigen Kavapflanze. Die Kalmücken und andere Steppenvölker des 
asiatischen Rußlands lassen die bekanntlich sehr zuckerreiche Milch ihrer 
Stuten unter Zusatz von Sauerteig in langen, schmalen Schläuchen 
gären und erhalten so ihren beliebten Kumyß“. Die mexikanischen 
Indianer schneiden den riesigen Blütenschaft der Agave und Yucca 
(wvon uns gewöhnlich, aber unrichtig Alos genannt), die Neger die 
Blütenkolben verschiedener Palmen⸗ und Pisang⸗Arten an, um den 
ausfließenden zuckerhaltigen Saft aufzufangen und in der Sonne gären 
zu lassen. Zu gleichem Zwecke bohren im Frühjahr die Hinterwäldler 
Nordamerikas den Stamm des Zuckerahorns an. Der Met, welcher das 
Labsal der alten Deutschen und Skandinavier bildete und der auch jetzt 
noch in Polen, Rußland und Ungarn im Gebrauche ist, besteht wesen— 
lich aus einer gegorenen Mischung von Honig und Wasser. Man 
lkönnte leicht noch manche andere Quellen aufzählen, die der Mensch zu 
finden gewußt hat, um sich alkoholartige Getränke zu verschaffen. In— 
dessen treten diese alle weit zurück an Ausbreitung und Wichtigkeit gegen 
die drei bei den Kulturvölkern der Gegenwart fast allein gebräuchlichen
	        
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