196 58. Der Harz und seine Bewohner.
Gruben und Stollen eingerammt und vermauert haben, zu der Be⸗
hauptung veranlaßt, der Wald der Stämme in ihrem unterirdischen
Labyrinthe sei bereits größer, als der über der Erde.
Diese Verbindung des Waldes und der Waldleute mit dem
Bergbau führt uns von selbst zu dem berg- und hüttenmännischen
Wesen des Harzes, welches unstreitig auch jetzt noch der hervorstechendste
und augenfälligste Zug in dessen gesamtem Leben ist. Das haben
seine Blei- und Silbergruben, vorzüglich der Gegenden von Goslat,
Klausthal, Zellerfeld, Andreasberg und Harzgerode veranlaßt. Daher
sehen wir dort eine große Anzahl von Anstalten, die sich auf den Berg⸗
bau beziehen, und weit mehr noch als die dampfenden Kohlenmeiler, als
Waldarbeiten aller Art und die rein und harmonisch tönenden Glocken
der Viehherden nimmt das bunte bergmännische Treiben unsere
Aufmerksamkeit und Teilnahme in Anspruch; denn überall schwingt
dort der Bergmann den Fäustel, schmilzt der braune Hüttenmann die
dem Gebirgsschoße entnommenen Erze; überall sieht man dort Poch—
und Walzwerke, lärmende Eisenhämmer, rauchende Hoch- und Flam⸗
menöfen, zahllose große Triebräder der Schachte und Karren mit
Erz in unaufhörlicher Bewegung. Und kommt die Stunde erquickender
Ruhe und lustigen Zechens dem munteren Völkchen, dann ertönt Ge—
sang und Musik, und man vernimmt im harten, scharfen, konsonanten⸗
reichen Bergdialekte den bekannten Wahrspruch des Oberharzes:
Es grüne die Tanne,
es wachse das Erz;
Gott schenke uns allen
ein fröhliches Herz!
Aber trotz der Liebe zu geselligen Vergnügungen, zu öffentlichen
Festen und feierlichen Aufzügen, waltet im Gesamtcharakter des harzer
Bergmannes ein ernster und frommer Sinn vor. Sieht man ihn
zur Kirche einherschreiten in seinem eigenartigen Sonntagsschmuck, so
erscheint er in gerader, strammer und ernster Haltung und bietet treu—
herzig sein „Glück auf!“ Von jeher hat er Gottesfurcht und Reli—
giosität geübt, und alles, was auf Religion und Glauben Bezug
hat, steht bei ihm in großem Ansehen. Vieles erinnert bei ihm auch
heute noch an die alte fromme Väterweise, und die dortigen Berg—
leute sind wohl gegenwärtig die einzige Arbeiterklasse, welche nie
ohne gemeinsamen Gottesdienst an ihr Tagewerk geht. Daß sie von
solchem Sinn durchdrungen sind, darauf wirken schon die Gefahren
hin, denen sie sich täglich unterziehen müssen. Auf dunklem und un—
sicherem Pfade in die schweigsame und gefahrvolle Tiefe hinabsteigend,
in ihr zwischen mächtig überlastenden Erd- und Steinmassen unmächtig
eingeschlossen, wird der Bergmann tief durchdrungen von dem Gefühl