Full text: Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen sowie für landwirtschaftliche Winter- und Ackerbauschulen

B. Berufsarbeit und Berufssorgen. 
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seinen eigenen. Ich kenne Leute, welche selbst hungern und ihren 
eigenen Kindern das Brot entziehen, um sich das nötige Geld für ein 
unnötiges schönes Kleid zu ersparen. Seide und Sammet aber löschen 
das Feuer in der Küche aus. Dahin ist es gekommen, daß der er— 
künstelten Bedürfnisse mehr sind als der natürlichen. Durch solche und 
ähnliche Thorheiten sind reiche und vornehme Leute an den Bettelstab 
gekommen und genötigt worden, die um Hilfe anzusprechen, auf welche 
sie früher hochmütig herabgesehen haben, die aber durch Fleiß und 
Sparsamkeit zu Vermögen und Ansehen gekommen sind. Ein Bauer 
auf den Füßen ist besser, als ein Edelmann auf den Knieen. Mancher, 
der am meisten klagt, hat ein artiges Vermögen geerbt; er vergaß aber, 
wie er dazu gekommen, und dachte: Es ist Tag, es wird niemals Nacht 
werden. Eine so kleine Ausgabe in einem so großen Vermögen kommt 
nicht in Betracht; wenn man aber immer aus dem Mehlfasse nimmt 
und nichts wieder hineinfüllt, so kommt man bald auf den Boden. 
Wenn der Brunnen trocken ist, schätzt man erst das Wasser. Wollt 
ihr wissen, was das Geld wert ist, so geht hin und borgt. Sorgen 
foͤlgt auf Borgen. Hast du ein schönes Stück ins Haus gekauft, so 
mußt du noch zehn dazu kaufen, damit alles zusammenpaßt. Es ist 
leichter, dem ersten Gelüste zu widerstehen als allen folgenden, und der 
Arme, welcher dem Reichen nachäfft, ist ebenso lächerlich als der Frosch, 
welcher sich aufblies, um so groß zu werden wie der Stier. Große 
Schiffe können sich ins weite Meer wagen; kleine Fahrzeuge müssen 
sich am Ufer halten. 
Welche Thorheit, der entbehrlichsten Dinge wegen Schulden zu 
machen! Wer sich in Schulden steckt, giebt anderen ein Recht über 
seine Freiheit. Könnt ihr zur gesetzten Frist nicht bezahlen, so werdet 
ihr euch schämen, wenn euer Gläubiger euch begegnet. Ihr werdet 
ängstlich sein, wenn ihr mit ihm sprecht, und elende Entschuldigungen 
herstammeln. Nach und nach werdet ihr Treue und Glauben ver— 
lieren, das Schamgefühl schwächen und euch gar durch grobe Lügen 
entehren. Ein rechtschaffener Mann sollte jedem ohne Furcht ins 
Angesicht sehen können; verschuldete Armut aber raubt das Selbst— 
gefuͤhl, die Selbständigkeit und die Tugend. Es hält gewiß schwer, 
daß sich ein leerer Sack gerade aufrecht erhalte. Wer immer darauf 
denkt, zu kaufen, was ihm gefällt, der vergißt leicht die Bezahlung; 
die Glaͤubiger aber haben ein besseres Gedächtnis als die Schuldner, 
und niemand sieht fleißiger in den Kalender als jene. Vielleicht seid 
ihr aber eben jeht in Umständen, eure Kauflust befriedigen zu können; 
aber legt lieber etwas für das Alter und für Notfälle zurück; denn 
die Mittagssonne scheint nicht den ganzen Tag. Der Verdienst kann 
von kurzer Dauer und ungewiß sein; die Ausgaben aber sind gewiß 
und dauern, solang ihr lebt. Es ist leichter, zwei Schornsteine zu 
bauen, als einen warm zu halten. Geht lieber ohne Abendbrot zu 
Bette, als daß ihr mit Schulden aufsteht. Erwerbt, soviel ihr 
könnt, und haltet zu Rate, was ihr erworben habt: das ist 
der wahre Sinn der Weisen. — So, meine Freunde, lauten die Lehren 
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