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L. Der Landwirt in Familie und Besitztum.
ist leider in viele Wohnungen eingedrungen, treibt da gar arg sein Un—
wesen, schlägt die Möbel entzwei, trägt die Betten zum Hause hinaus,
zerreißt die Kleider, prügelt die Kinder wohl gar zu Krüppeln, miß—
handelt die Frauen und legt am Ende dem Hausvater den Strick um
den Hals, ihm die Kehle auf immer zuzuschnüren, oder treibt ihn hinab
an das Flußufer, um seinen Durst auf immer zu löschen.
2. Aber ist denn der Branntwein wirklich ein so böser, ge—
fährlicher Feind. Es scheint freilich nicht so. Er sieht ganz unschuldig
aus, so rein und unschuldig wie das reine, klare Wasser, das Gott zur
Erquickung aller Lebendigen aus der Erde sprudeln läßt. Aber er ist
nicht so unschuldig; er ist ein Meuchelmörder und führt ein verderbliches,
langsam, aber sicher wirkendes Gift mit sich, das allmählich den Mut
lähmt, die Kraft bricht, die Gesundheit zerstört, den Wohlstand untergräbt,
den guten Ruf raubt, den Frieden des Hauses und den Frieden der Seele
vernichtet. Habt ihr sie nicht gesehen, die Männer und Frauen, die im
schönsten Lebensalter nicht mehr angestrengt arbeiten können? Der Brannt⸗
wein brach die Kraft. Habt ihr sie nicht gesehen, die kahlen, ausgeleerten
Wohnungen, in denen kaum noch ein Stuhl und ein Tisch und ein
Strohlager, kein Bett, kein Schrank, kein Sonntagsrock und keine Bibel
mehr gesehen wird? Die Branntweinflasche hat die Wohnung leer ge—
macht. Habt ihr sie nicht gesehen, jene wankenden und schwankenden
Gestalten, denen die Gasse nicht breit genug ist, und hinter welchen die
Gassenbuben herschreien? Wer hat sie so herabgewürdigt zu den Tieren;
wer hat sie um ihre Ehre gebracht vor den Menschen? Das tat der
Branntwein. Und wessen sind die schmutzigen, zerlumpten Kinder mit
ungekämmten Haaren, vor Hunger eingefallenen, todblassen Wangen?
Ach, es sind die Kinder einer oft mit Branntwein sich berauschenden
Familie, die sie hinausstieß auf die Straße zum Betteln. Und wer
schaut so ängstlich hinein durch die Fenster ins Wirtshaus und zittert
und erbebt bei jedem neuen Getobe? Das ist die liebende Frau. Sie
sucht den ihr immer noch teuren Mann und darf sich doch nicht hinein—
wagen in das wilde Gelag, damit sie nicht gehöhnt und weggestoßen
werde. In dunkler, feuchter Nacht steht sie da, ob sie auch vor Kälte
zittert; sie steht da und harrt, ob der Mann nicht herauskomme, daß sie
ihn bitten könne, mit heimzukehren zu den verlassenen Kindern. Und
wen trägt man da hinab vom wilden Tanzsaale? Es sind Verwundete.
Als der Branntwein ihre Köpfe erhitzt und die Besinnung geraubt hatte,
da wurden die Messer gezogen, die Gläser geworfen, und es wurde
Menschenblut vergossen. Und wen zieht man dort aus dem Schlamme
des Flusses heraus? Ach, es ist ein Trunkenbold, ein heruntergekommener
Handwerker. Der Branntwein hat seine Kraft gebrochen, ihn um das
Vertrauen der Kunden gebracht, ihn in das Elend gestürzt. Hat ihm
gestern der Branntwein vollends den Verstand geraubt; hat ihm der
Jammer im Hause gestern ans Herz gegriffen und ihn in den Tod ge—
ieben? Wer weiß es! Heute liegt er im Flusse, und aus seinem
Häuschen tönt das Klagen der Witwe und das Weinen der verwaisten
Kinder. Doch genug dieser Bilder des Elends!