Full text: [Teil 2 = 3. Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 2 = 3. Schuljahr, [Schülerband])

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einem großen, langen Kriegsbart, der ihm seit dem Sommer ge¬ 
wachsen war, so daß wir ihn erst gar nicht erkannten. 
Gnstav dnrste in den Weihnachtsferien eine kleine Reise zn 
einem Frennde nach Stettin machen. Da sah er eine Menge fran¬ 
zösischer Gefangener, anch schwarze Tnrkos nnter ihnen. Einer 
verkaufte ihm für zwei Silbergroschen seine Epanlettes, die Gustav 
sich zum Andenken anfhob. Es interessierte ihn sehr, die fran¬ 
zösischen Uniformen kennen zu lernen und zu sehen, wie die Ge¬ 
fangnen in Strohhütten nnd Zelten schliefen, die sie sich selbst 
gebaut hatten. 
6. 
Im März endlich — endlich kam der ersehnte, frohe Tag, wo 
unser lieber Vater heimkehrte. Er kam mit dem königlichen Sonder¬ 
zuge, denn er gehörte zum Großen Hauptquartier Kaiser Wil¬ 
helms I. Ein großes Kranzgewinde prangte an unsrer Eingangstür 
in der Hohenzollernstraße. Unsres Vaters Zimmer stand voller 
Blumen: ein großer Lorbeerkranz hing über seinem Schreibtisch, 
nnd auf dem Schreibtisch lag ein schöngeschriebenes lateinisches 
Gedicht, das Gustav gemacht hatte. Und als er nun eintrat, der 
geliebte Vater, den Arm in der Binde, das Gesicht mager und 
blaß von den großen Anstrengungen des Kriegsjahres, umgeben 
von einem struppigen Kriegsbarte, da kannte unser Jubel keine 
Grenzen. Ich sagte: „Väterchen, kennst dn denn noch deine ge¬ 
wachsenen Kinder?" 
7. 
Am 16. Juni 1871 dnrften wir Kinder von einem Fenster am 
Pariser Platz den feierlichen Einzug der siegreichen Truppen dnrch 
das Brandenbnrger Tor ansehen. Wer so etwas als Kind mit er¬ 
lebt hat, der vergißt es niemals wieder. Voran ritten die ruhm¬ 
gekrönten Feldherrn nnd Führer, dann Bismarck, Moltke und 
Roon, gefolgt von den Generalstabsoffizieren, zu denen mein Vater 
gehörte. Dann folgte der Kaiser, hinter ihm der Kronprinz, Prinz 
Friedrich Karl und viele dentsche Fürsten. 
Das Brandenburger Tor und die ganze Straße Unter den 
Linden prangte im herrlichsten Festschmuck, alle Fenster, alle Bänme, 
ja selbst die Laternenpsähle nnd die Dächer waren dicht besetzt mit 
Menschen, auf den Straßen stand alles Kopf an Kopf. 
Und als sie nnn einzogen dnrch das Brandenbnrger Tor, da 
flogen aus allen Fenstern die Lorbeerkränze herunter auf unsre 
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